Das Verhältnis zwischen Griechen und Westeuropäern ist derzeit nicht ganz spannungsfrei, um es gelinde auszudrücken. Wie es sich trifft, jährt sich gerade ein Ereignis, dass ein Schlaglicht auf die komplizierte Beziehung zwischen (Süd-)Ost und West wirft.

Heute vor 750 Jahren, am 25. Juli 1261, eroberten byzantinische Truppen Konstantinopel und jagten die Lateiner nach Westeuropa zurück.

Das griechische Kaiserreich von Byzanz war lange Zeit einer der reichsten und machtvollsten Staaten der christlichen Welt. Die Griechen hatten den Siegeszug der Araber beendet und waren die führende Großmacht im östlichen Mittelmeerraum. Im 12. Jahrhundert aber hielt die wirtschaftliche Entwicklung mit dem imperialen außenpolitischen Anspruch nicht mehr Schritt; Kriege mit Türken, Bulgaren, Serben und Normannen zehrten das Reich aus.

Die wirtschaftlichen und politischen Konkurrenten im Westen nutzen das gnadenlos aus. Im Jahre 1204 lenken die Venezianer einen Kreuzzug, der eigentlich dem allen gemeinsamen muslimischen Feind gelten soll, nach Konstantinopel um. Die Stadt wird erobert und furchtbar geplündert, der griechische Kaiser ins Exil gejagt.

Italiener, Franzosen und Flamen errichten nun ein neues, ein lateinisches Kaiserreich. Griechenland wird in Fürstentümer aufgespalten, die unter westeuropäische Adlige verteilt werden.
 

Die Westeuropäer spielen sich gegenüber den Griechen als große Herren auf, unterdrücken die griechisch-orthodoxe Kirche, lassen Bauten und Infrastruktur verfallen, füllen ihre privaten Kassen und machen sich so ziemlich jeden zum Feind.

In der Zwischenzeit bauen die vertriebenen byzantinischen Herrschaftseliten in Anatolien und in Westgriechenland einen neuen Staat auf, in dem sie die wirtschaftlichen Reformen durchführen, die sie vor der Eroberung durch die Kreuzfahrer versäumt hatten.

1261 dann schwingt das Pendel zurück. In der Nacht zum 25. Juli erobert eine kleine Truppe des griechischen Kaisers Michael die Großstadt Konstantinopel im Handstreich. Die Lateiner leisten fast keinen Widerstand, ihr letzter Kaiser Balduin II. entkommt mit Müh und Not auf einem venezianischen Handelsschiff. Michael VIII. zieht im Triumph in Konstantinopel ein und lässt sich in der Hagia Sophia ein zweites Mal krönen.

Nimmt also die Geschichte ein gutes Ende? Leider nein. Zwar haben sie Konstantinopel verloren, aber ihre Fürstentümer und Kolonien im weiteren Griechenland verteidigen die Westler mit Klauen und Zähnen; sie planen gar neue Kreuzzüge zur nochmaligen Eroberung der Reichsmetropole. Und so schmilzt die gerade neu begründete Wirtschaftskraft des Byzantinischen Reichs bald in endlosen Kriegen gegen Italiener, Franzosen, Katalanen, Bulgaren und Serben wieder dahin.

Sieger bleiben am Ende – die Türken. 1354 erobern die Osmanen erstmals Gebiete auf europäischem Boden; 1370 ist Konstantinopel schon von osmanisch beherrschtem Territorium eingekreist. 1439 versucht der verzweifelte byzantinische Kaiser durch eine Union der Ost- mit der Westkirche eine Aussöhnung mit dem Westen herbeizuführen – er scheitert am Widerstand seiner eigenen Untertanen, die dem Westen längst noch mehr misstrauen als den Türken. 1453 dann erobert eine große osmanische Armee Konstantinopel; der letzte Kaiser Konstantin XI. fällt im Kampf. Bis 1540 erobern die Türken sämtliche Besitzungen der Lateiner auf dem griechischen Festland. Jetzt erst ist die Geschichte aus.

Eine Geschichte um versäumte griechische Reformen und den Zusammenbruch des griechischen Staats, um arrogante westeuropäische Besatzer und geballte westeuropäische Inkompetenz, um griechischen Mut und griechische Starrköpfigkeit, um wechselseitige Verachtung und wechselseitige Abhängigkeit  - und zum schlechten Schluss mit einem gemeinsamen Untergang.

Eine Geschichte, wie sie das Leben schreibt.
 
  

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.

Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
BBCode-Formatierung erlaubt