Die Ukraine entgleitet allmählich unserer Aufmerksamkeit; sie ist nur noch selten der Aufmacher in den Nachrichtensendungen. Aber ähnlich wie in Syrien ist noch kein Problem gelöst und der Ausgang nicht entschieden. Im Gegenteil. Die Ereignisse der letzten Tage zeigen: Die Krise droht sich in einer Weise zu verfestigen, die nicht nur die Ukraine zerreißt, sondern auch die Interessen Deutschlands gefährdet. (Die wir hier schon einmal skizziert haben.)

Der neue ukrainische Präsident Poroschenko will sich zunächst einmal als starker Mann präsentieren und die „Terroristen“ im Osten militärisch besiegen. Das erwarten viele seiner Wähler und politischen Verbündeten von ihm. Ohne eine wie auch immer geartete Verständigung mit Russland wird er sein Ziel aber nicht erreichen können. Russland kann schließlich seine Militärhilfe für die Separatisten nach Belieben verstärken oder verringern.

Russland bleibt in der Ostukraine am Drücker. Die lokalen Offensiven der separatistischen Streitkräfte, die anscheinend zu einem beträchtlichen Teil aus russischen Freiwilligen bestehen, lassen vermuten, dass Moskau seine Verbündeten nach wie vor nicht an die Leine nehmen will. Die Logik ist simpel: Je instabiler die Ukraine, desto mächtiger Russland.

Beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister klang es einmal mehr nach Kaltem Krieg. Offen wird über eine Neuauflage des Wettrüstens unseligen Angedenkens diskutiert. Deutschland versucht den Eifer der Kalten Krieger zu bremsen.

Gleichzeitig präsentieren sich die USA in Gestalt Präsident Obamas als Schutzmacht der NATO-Staaten östlich von Deutschland. Eine Milliarde Dollar wollen die Amerikaner vorerst für die militärische Sicherung Polens und der baltischen Staaten ausgeben. Das klingt zwar mehr als es ist – Russlands Militärausgaben beliefen sich 2013 auf 88 Milliarden Dollar – gleichzeitig ist die Botschaft aber klar: „Uns Amerikanern seid ihr Polen und Balten nicht egal. Wir sind eure Schutzmacht.“ Subtext: „Im Gegensatz zur unfähigen EU und zu den unzuverlässigen Deutschen“.

Im schlimmsten Fall also
  • wird der Bürgerkrieg in der Ukraine zum Dauerzustand;
  • benutzt Russland den Konflikt (und sein Gas) dauerhaft zur Erpressung Europas;
  • schwingen die USA sich wieder zur Hegemonialmacht des Alten Kontinents auf;
  • erstarren die Europäer selbst, einschließlich Deutschlands, in einem neuen Kalten Krieg, der ihre Aufmerksamkeit von einer Reform der EU ablenkt, ihre Wirtschaft noch weiter ausbremst und ihre sicherheitspolitische Unabhängigkeit vollends beseitigt.

Dieser Ausgang der Affäre ist keineswegs ausgeschlossen.

Deshalb muss die deutsche Außenpolitik unbedingt Kurs halten!


1. Sie muss Putin klarmachen, dass Russlands derzeitige Politik die Rolle der NATO und der USA in Europa stärkt, nicht schwächt. Wenn Russland das nicht will, muss es eine wichtige Rolle der EU (und Deutschlands) in Osteuropa akzeptieren.

2. Die deutsche Außenpolitik muss der Führung in Moskau auch klarmachen, dass Deutschland Russlands wichtigster Ansprechpartner in Europa bleibt. Deutschland hat in der Vergangenheit eine schnelle Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die NATO verhindert – Russland zuliebe. Deutschland kann in NATO und EU Russlands Interessen weiterhin verteidigen – oder eben auch nicht. Das hängt von Russlands Verhalten ab.

3. Die deutsche Außenpolitik muss mäßigend und beruhigend auf die neue ukrainische Führung einwirken. Ein Hebel ist vorhanden: Die Ukraine braucht dringend Geld und politische Unterstützung.

4. Sie muss die Kalten Krieger in der NATO freundlich, aber hartnäckig ausbremsen.

5. Die deutsche Außenpolitik sollte Polen und den Baltischen Staaten demonstrativ, aber ernsthaft Unterstützung bei der militärischen Absicherung ihrer Grenzen, die ja auch EU-Grenzen sind, anbieten. Dies sollte mehr als reine Symbolpolitik sein. Deutschland hat in der NATO das Konzept der Rahmennationen eingebracht: Die Europäer sollen ihre militärischen Ressourcen in Ländergruppen bündeln, die sich jeweils um eine größere Rahmennation sammeln. Warum sollte Deutschland sich nicht als Rahmennation für die Verteidigungsplanung in Mitteleuropa und dem Baltikum anbieten? Das könnte den militärischen Einfluss der USA in Europa verringern und wäre gleichzeitig für Russland weniger beunruhigend als US-Truppen an den russischen Grenzen.

Und die deutsche Außenpolitik sollte all das gleichzeitig tun!



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