Viktoria der Siegessäule in Berlin mit Lorbeerkranz

Die Welt ändert sich, und das ist gut.

Zu lange haben wir in unserer Republik apathisch den gewählten politischen Funktionsträgern beim Verwalten der Wirklichkeit zugeschaut. Diese Wirklichkeit war nicht wirklich gut, aber doch so wenig schlecht, dass wir sie ohne Gegenwehr ertragen zu können meinten.

Wir ließen uns die wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft gefallen;
den Ausverkauf öffentlicher Güter an private Interessen;
die Verstümmelung des humanistischen Bildungsideals durch die Marktideologie raffgieriger Pfeffersäcke;
das Dahinsiechen des politischen Europa;
die Gründung politischer Sekten, die unserer Republik feindlich gegenüberstehen;
den Verfall politischer Bildung und Kultur;
die faule, verständnisselige Friedfertigkeit gegenüber Gewaltmenschen jenseits unserer Grenzen und diesseits;
die achselzuckende Verantwortungsscheu angesichts vielfältiger Missstände in der Welt;
zuletzt die Versuche, uns durch terroristische Gewalt einzuschüchtern oder uns in den Sozialen Medien gegeneinander aufzuhetzen. Wir ließen uns das alles gefallen.

Von wem?
 

Deutschland im postmodernen Biedermeier

Voneinander. Mitte der Neunzigerjahre fing es an: Nach den Aufregungen durch Mauerfall und Wiedervereinigung, Zusammenbruch des Ostblocks und Gründung der EU versank Deutschland selbstzufrieden in einem postmodernen Biedermeier. Die großen Fragen der Nation und der Menschheit waren gelöst – jetzt konnte man sich endlich um den eigenen Nabel kümmern.  Karriere, Geld, Spaß war angesagt. Wen kümmerten die Arbeitslosen – die gab es doch nur in ein paar Gegenden im Osten. Privatisierung, Deregulierung, Ausverkauf der öffentlichen Infrastruktur? - Na, wenn es uns Geld bringt! Kriege auf dem Balkan und im Nahen Osten? - Das wird sich schon geben, ist ja nicht unser Problem.

Egoismus und politische Verantwortungslosigkeit sind Laster, die anstecken. Der deutsche Bürger zog sich aus der res publica, der öffentlichen Angelegenheit, zurück und überließ sie den Profis: Karrierepolitikern, Lobbyisten, PR-Spezialisten und Verwaltungsbeamten.

In den Nullerjahren wurde es allmählich ungemütlicher. Löhne und Gehälter stagnierten, das soziale Netz wurde zusehends weitmaschiger, das Wort „Armut“ wurde zuweilen wieder verwendet, und Fanatiker in fernen Ländern drohten uns unschöne Dinge an. Aber wir waren ja Exportweltmeister, weit vom Schuss und überhaupt sollten sich die EU, die UNO oder sonst irgendwer um Frieden und Gerechtigkeit kümmern. Dann kam die Weltfinanzkrise, und wir waren erstaunt, wie gut wir sie überstanden. Das gab uns ein gutes Gefühl: War ja doch alles in Ordnung bei uns – kein Grund, aus dem Fernsehsessel aufzustehen und irgendetwas zu ändern.  Zehn Jahre später, mitten in einer EU-NATO-Flüchtlings-Populisten-Trump-Putin-Erdogan-Terror-Krise, ahnen wir, dass die Welt sich auch künftig weiterdrehen wird und es an der Zeit ist, sich der Wirklichkeit zu stellen.
 
Wir haben uns in Deutschland seit bald einem Vierteljahrhundert auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausgeruht. Wir haben sie platt gesessen.

 

Deutschland – Die neuen Krisen


Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist bedroht

Deutschland war einmal die Mittelstandsnation par excellence. Ein Wirtschaftswunder, an dem alle teilhaben konnten, und ein Wohlfahrtsstaat, der niemanden zurückzulassen versprach, hatten es dazu gemacht. Heute profitiert nur noch ein Teil der Bevölkerung von wirtschaftlichem Fortschritt, und an die Tragfähigkeit des sozialen Netzes glaubt niemand mehr. Unsicherheit, Angst und Zorn sind die Folge. Die Gesellschaft droht entlang wirtschaftlicher und kultureller Bruchlinien in Milieus zu zerfallen, die sich je länger, desto mehr befehden.
 

Das Wirtschaftsmodell Deutschland stößt an seine Grenzen.

Deutschland war einmal das Land der Wirtschaftswunder. Explosionen an Kreativität und Tatkraft hatten das Land in mehreren Schüben im Laufe eines guten Jahrhunderts zum Wirtschaftsmotor Europas und einem Leuchtturm der technischen Moderne werden lassen. Heute ist Deutschland noch eine führende Exportnation, aber Export allein ist kein tragfähiges Wirtschaftsmodell, wenn sich die Weltwirtschaft in Richtung auf einen neuen Protektionismus bewegt. Um unter derart veränderten Bedingungen erfolgreich zu sein, bräuchte es einen stärkeren Binnenmarkt oder Produkte, die so einmalig sind, dass Zölle ihrer Attraktivität keinen Abbruch tun.

Deutschland stellt aber heute nichts her, was die Welt wirklich braucht; was unersetzlich ist, weil es einen sonst nirgends zu gehenden Weg in die Zukunft weist. Autos? Maschinenbau? Chemikalien? Das sind Branchen des 19. Jahrhunderts. Deutsche Internet-Startups? Sind Spezialisten für die Zweitverwertung von Technologien, die ursprünglich woanders entwickelt wurden. Wo ist die Kreativität geblieben, die der Welt Wege in die Zukunft bahnt? Kann die deutsche Wirtschaft nicht mehr, als entweder Ideen des 19. Jahrhunderts weiterzuentwickeln oder amerikanische Ideen zu klonen?
 

Das politische Europa zerfällt vor unseren Augen

Ach, Europa. Die europäische Integration war Deutschlands großer Erfolg nach den Katastrophen der Weltkriege; vielleicht der größte politische Erfolg in der deutschen Geschichte der Neuzeit. Wir lösten dadurch unsere Sicherheitsprobleme und unsere Wirtschaftsprobleme mit einem Schlag. Gleichzeitig schufen wir damit die Möglichkeit, unsere Interessen in einer Welt der großen Mächte nach wie vor zur Geltung zu bringen. Wir dachten, dieses Europa, diese Europäische Union sei für die Ewigkeit gemacht, und wir seien darin auf ewig sicher aufgehoben. Das sieht derzeit nicht mehr so aus. Wenn aber die EU zerfällt, wird sich Deutschland allein in einer Welt von Rivalen wiederfinden – gegen die es allein nicht wird bestehen können.
 

Die Welt ist in Unordnung, die Demokratie auf dem Rückzug

Aggressive Machtmenschen geben den Ton an in der internationalen Politik, und Soft Power sticht nicht mehr. Das Ende der Geschichte war gestern.

Nach der Überwindung des National- und des Straflagersozialismus, nach dem Überleben des letzten Welt- und des Kalten Kriegs hatte Deutschland gedacht, das Zeitalter der machtpolitischen Rivalitäten, der Nationalismen, der Ideologien, der Kriege sei vorbei. Wir sahen uns stolz als Teil einer immer friedlicheren, immer gerechteren Weltordnung. „Zivilmacht“ wollten wir sein, „Friedensmacht“.  Und glaubten tatsächlich, dass das genug sei. Ist es aber nicht. Wir müssen heute erkennen, dass Soft Power – Dialog, Kooperation, Attraktivität von Werten und Lebensstilen – nur auf Menschen und Mächte wirkt, die schon vorher so werden wollten wie wir. Und das sind weiß Gott nicht alle. Was aber sollen wir tun, wenn aggressive Autokraten oder Fanatiker die Welt um uns herum zerschlagen?

Die Rezepte der Vergangenheit helfen heute nicht mehr, denn die Welt von gestern ist dahin. Wir brauchen einen neuen Aufbruch.
 

Deutschland – Die Wege in die Zukunft


Gesellschaftlicher Zusammenhalt

Wir brauchen eine radikale Neubegründung des Sozialstaats, die geeignet ist, Menschen ihre Existenzängste zu nehmen, ohne sie bei Inanspruchnahme von Unterstützung als Bittsteller und Minderbürger  zu deklassieren. Modelle gibt es genug.

Wir brauchen eine Rechtsreform, durch welche Angehörige gesellschaftlicher Eliten bei krassem Versagen zu Lasten der Allgemeinheit auch persönlich zur Verantwortung gezogen werden können.

Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das Zuwanderung sorgsam reguliert, Quoten festlegt und begründet, Rechte und Pflichten von Einwanderern genau festlegt. Dabei muss sichergestellt sein, dass nicht nur Wirtschaftsverbände auf die Gestaltung der Quoten Einfluss nehmen. Und die Behörden müssen in die Lage versetzt werden, dieses Gesetz auch um- und durchzusetzen.
 

Wirtschaftsmodell Deutschland

Wir brauchen einen Mentalitätswandel, wie auch immer.  Die Wirtschaftstalente unserer Gesellschaft müssen die Lust am Bohren dicker Bretter wiederfinden. Die verbreitete Ausrichtung auf schnelles Geld und schnellen Aufstieg führt zu einer Konzentration auf das Alte, Bewährte, vermeintlich Sichere. Wer etwas wirklich Neues schaffen, unternehmen will, braucht Zeit, Mut, Ausdauer und Leidensfähigkeit. Er riskiert das Scheitern, lässt sich durch Rückschläge aber nicht entmutigen. Er ist in gutem Sinne besessen von einer, von seiner Idee. Diese Besessenheit, die Besessenheit der Gründer, nach denen die „Gründerzeit“ im späten 19. Jahrhundert benannt ist; sie gilt es wiederzufinden. Nicht Geld, nicht Status, sondern der Erfolg der Idee ist wichtig.

Wir brauchen, zweitens, einen Perspektivwandel. Unternehmerisches Handeln muss stärker von gesellschaftlichen Problemen und Bedürfnissen ausgehen, nicht von zufällig schon vorhandener, anschlussfähiger Technik. Oder anders ausgedrückt: Wir müssen entwickeln, was die Welt morgen braucht; nicht verbessern, was sie gestern gebraucht hat !
 

Europa

Wir brauchen eine mutige Reformpolitik für die EU, die weder Angst vor Volkes Meinung hat noch versucht, anderen Ländern deutsche Obsessionen schmackhaft zu machen. Zuallererst sollte sie das zentralistische Schreckgespenst namens „Vereinigte Staaten von Europa“ bannen und klar machen: Es wird keinen europäischen Superstaat geben.

Wir brauchen den Willen und den Mut , das Projekt der europäischen Integration gegen seine Gegner und Verächter innerhalb und außerhalb der Union zäh zu verteidigen. Es muss klar werden: Wer versucht, die EU zu zerstören, bekommt Ärger mit Deutschland. Großen Ärger.
 

Gefährliche Welt

In einer Staatenwelt, die von Machtmenschen und Machtinteressen geprägt wird, brauchen wir eine neue Machtpolitik. Wir können die Verteidigung unserer Interessen nicht mehr an Organisationen wie EU, NATO oder UNO delegieren, da das Funktionieren dieser Organisationen selbst gefährdet ist. Das bedeutet, dass Deutschland sich in Europa eine Machtposition erarbeiten muss, die es uns ermöglicht, den Kontinent auch dann leidlich stabil zu halten, wenn die genannten Staatenverbünde ausfallen.

Macht, das bedeutet unter anderem auch mehr Militär.  Die Bundeswehr ist viel zu schwach, um Russland in Osteuropa auch nur annähernd auszubalancieren. Und so lange das so ist, bleibt Deutschland abhängig von den USA. Was derzeit weniger denn je eine beruhigende Aussicht ist.

Zuvörderst aber setzt Macht den Willen voraus. Deutschland muss mächtig sein wollen – um seine Interessen und die Sicherheit Europas verteidigen zu können.  Dazu darf Deutschland Konflikte mit großen Mächten nicht scheuen; und es muss sich in diesen Konflikten durchsetzen wollen.
 

Fazit: Weg mit dem welken Lorbeer !

Das alles klingt wahrlich ungewohnt. Die Krisen der Gegenwart machen aber klar, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Diese Einsicht ist die erste Voraussetzung für den Aufbruch in die Zukunft. Die nostalgische Sehnsucht nach den guten alten Zeiten unserer schönen Erfolge hilft uns nicht weiter. Weg mit dem welken Lorbeer! Frischer muss her!

Sprechen Sie mir nach: Die Welt ändert sich, und das ist gut.

Amen.


 

Bild: Goldelse, die Victoria-Statue der Berliner Siegessäule. 
[http://www.lichtjaeger.de Stefan Füsers via Wikimedia Commons]

 

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