Zusammenfassung:  Hinter der Putin-Versteherei in Deutschland steckt keine ängstliche Bereitschaft zum Appeasement, sondern ein vager deutscher Selbstbehauptungswille gegenüber den USA. Solange die USA die NATO dominieren, wird das Bündnis in Deutschland unpopulär bleiben, und solange es unpopulär bleibt, können deutsche Politiker mit der Forderung nach mehr Engagement im Bündnis innenpolitisch nur verlieren.


NATO-FahneRusslands imperialistische Politik gegen die Ukraine beunruhigt die Europäer und lässt Rufe nach der guten, alten NATO wieder laut werden; vor allem in Polen und dem Baltikum, aber auch in Großbritannien. In Deutschland plädiert z.B. Felix Seidler für eine Neubelebung des Bündnisses unter tatkräftiger deutscher Mitwirkung.

Die NATO soll es also richten. Das Problem mit der NATO ist nur: Die deutsche Bevölkerung mag sie nicht, so dass jeder Versuch einer deutschen Regierung, die blaue Flagge mit der Kompassrose zu ergreifen und beim Klang der Trommel die Verbündeten um sich zu scharen, nicht nur mit dem Widerstand des Russen, sondern auch mit dem des deutschen Wählers zu rechnen hätte.

Und dafür gibt es Gründe, die wir versuchen sollten zu verstehen. Die Unpopularität der NATO spiegelt die (politische) Unpopularität der USA, und um die zu begreifen, muss man vermutlich in die Abgründe der Völkerpsychologie hinabsteigen. Nun hat Antiamerikanismus viele Spielarten - ein tief verborgener Kern scheint mir aber zu sein: Die Deutschen haben im Grunde die Niederlagen von 1918 und 1945 bis heute nicht akzeptiert. Das Ressentiment gegenüber den USA ist das Ressentiment des Besiegten gegenüber dem Sieger. Klingt das zu weit hergeholt? Erinnern wir uns: Ein vergleichbares Ressentiment gab es im Kalten Krieg auch gegenüber "den Russen", der anderen großen Sieger- und Hegemonialmacht. Diese Russophobie verschwand beinahe über Nacht, als die Sowjetunion den Kalten Krieg verloren hatte. Der "Sieg" von 1989/1991 glich psychologisch die Niederlage von 1945 aus.

Was bedeutet das für die NATO? In den Augen vieler Deutscher ist die NATO kompromittiert durch die überragende Rolle, die die USA in ihr spielen. Sie erscheint so als Herrschaftsinstrument, mit dem die Sieger von 1945 bis heute die Verlierer zur Gefolgschaft nötigen.

So erklärt sich auch die seltsame Sympathie, die viele Deutsche Wladimir Putin entgegenzubringen scheinen. Sie projizieren ihre eigenen deutschen Rebellionsfantasien auf den russischen Präsidenten. Der Kreml-Herrscher tut das, was viele Deutsche sich von ihren eigenen politischen Führern wünschen: Er stellt die amerikanische Vorherrschaft in Frage. Russland sucht nach dem „Platz an der Sonne“, den Frank-Walter Steinmeiers Vorgänger Bernhard von Bülow im Jahre 1899 auch für Deutschland gefordert hat. Oleg Woloschin hat  auf „Rossíja v globálnoi polítike“ letzten Monat exakt diesen Vergleich gezogen. Das versteht man in Deutschland instinktiv. Was man leider nicht versteht, ist, dass Russland ausgerechnet denjenigen Liegestuhl auf dem Sonnendeck ins Auge gefasst hat, auf dem schon das deutsche Handtuch liegt. Putin schadet de facto nicht den USA, sondern Deutschland. Wir haben neulich darauf hingewiesen. Hinter der Putin-Versteherei in Deutschland steckt aber jedenfalls keine ängstliche Bereitschaft zum Appeasement, wie manche behaupten, sondern ein orientierungsloser deutscher Selbstbehauptungswille – gegenüber den USA.

Nun aber zur NATO:


Solange die USA die NATO dominieren, wird das Bündnis in Deutschland unpopulär bleiben, und solange es unpopulär bleibt, können deutsche Politiker mit der Forderung nach mehr Engagement im Bündnis innenpolitisch nur verlieren. Daraus könnte man nun den Schluss ziehen, dass Deutschland sein sicherheitspolitisches Profil derart schärfen muss, dass die USA in der NATO nicht länger „die unersetzbare Nation“ sind – im Klartext: dass Deutschland aufrüsten und Europa sicherheitspolitisch führen muss. Geschähe dies aber, wäre die EU wohl der bessere Führungsrahmen, da zum einen die politische Integration hier viel weiter fortgeschritten ist als in der NATO und zum anderen hier keine Rücksicht auf amerikanische (innenpolitische) Befindlichkeiten genommen werden muss.

Wie dem auch sei: Derzeit sind das alles verstiegene Fantasien. Bevor Deutschland wieder auf Konfrontationsmodus schaltet, muss viel passieren – Putins Armee müsste die ganze Ukraine überrennen. Oder die USA müssten sich tatsächlich aus Europa zurückziehen, so dass die NATO das Geschmäckle des Vasallenverbands verlöre. Dann allerdings könnte es sehr schnell gehen – viele Putin-Versteher würden sich in Windeseile in Befürworter deutschnationaler Machtpolitik verwandeln. Nicht zufällig gehören zu den verständnisvollsten Putinfreunden die D-Mark-Patrioten der AfD.

Aus all dem wird wieder einmal deutlich, dass auch in der Außen- und Sicherheitspolitik mehr Leidenschaften im Spiel sind, als uns geheuer sein kann. Aufklärung tut not.

Fürs Erste trösten wir uns mit Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“



1 Kommentar

Linear

  • schulz  
    In Deutschland gibt es eine große Zahl scheinheiliger Jammerlappen. Als George W. Bush den Irak überfallen hat, haben sie entrüstet mit dem Zeigefinger gewedelt, aber wenn Wladimir Putin das Gleiche mit der Ukraine probiert, dann haben sie dafür "Verständnis". Logisch: Wenn Georgie alte Omas überfällt, muss man verstehen, dass Wladi dann auch alte Omas überfallen darf. Das ist nur gerecht. Und überhaupt hatte der Wladi eine schwere Kindheit. So denken die Russlandversteher.

    Aber wenn der arme Wladi dann eine neue Rüstungsspirale in Europa auslöst (schaut euch mal an, wie Russland aufrüstet), dann fangen die Deutschen an zu jammern, dass viel zu viel Geld fürs Militär ausgegeben wird und viel zu wenig für die Pflege von Fußgängerzonenbegrünungen übrig bleibt.

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