Thorsten Kleinschmidt, 23. April 2024 

Deutschland und Europa finden derzeit keinen Frieden mit sich. Die Kriege im Osten und Süden können wir nicht beenden, und auch im Innern riecht es nach Gewalt, wenn Politiker physisch angegriffen werden und Teile der Gesellschaft sich in Identitäts- und Interessenklubs sortieren, die einander keinerlei Respekt entgegenbringen möchten.

Etwas ist im Niedergang begriffen, so empfinden es viele. Wenn man nachsinnt, versteht man auch, was: Wir sind im Niedergang begriffen, wir Menschen, jedenfalls diejenigen von uns, die die erste Lebenshälfte hinter sich haben. Und das sind viele in Deutschland.

Für die Menschenwelt, die den Fortschritt braucht, um Bestand zu haben, ist das ein Problem. Wie realistisch ist es, von Menschen im Niedergang Lust auf Zukunft zu erwarten? Und so greinen wir, schimpfen wir, fluchen wir, während das Rad der Zeit weiter seine Spur zieht. Aber wir mögen uns gegen die rotierenden Speichen stemmen, wie wir wollen: Wir hemmen diesen Lauf nicht und werden zermahlen, wenn wir dem Schicksal in die Bahn stolpern. Wobei: Zermahlen werden wir sowieso. Entschuldigen Sie das melancholische Geraune: Wenn alternde Menschen in die Zukunft blicken, sehen sie in eine Richtung, in der sie Dunkles vermuten. 

Veränderung? Unerhört!

Die Generation Z wird in diesen Monaten wieder durch Fernsehkanäle und Textwüsten gejagt, von Medienmachern, die anscheinend keine Ahnung haben, wer oder was das sein soll, nur die eine Gewissheit: Sie sind es nicht. Die Jungen wollen nicht arbeiten, sie wollen mehr arbeiten, sie wollen anders arbeiten, sie wollen anders sein als die Alten, nicht einmal das, sie wollen einfach ihr Leben leben. Und ein Publikum, das sich ein wenig dafür schämt, dass es sich klammheimlich auf die Rente freut, schüttelt den Kopf wie seit tausend Jahren: ach, diese Jungen… und ist verstimmt, weil diese auf Glück und Sinn im Dasein hoffen. 
Das Ressentiment gegenüber der Jugend ist ein Ressentiment gegenüber Veränderung, und dieses wiederum kommt von der Angst vor der eigenen Schwäche. Die Besessenheit der Medien von der Generation Z ist also kein gutes Zeichen.

 

Alter Hass

Der alte Mann im Kreml ist indes schon zwei Schritte weiter. Sein Ressentiment gegenüber den Folgegenerationen, die die alten sowjetimperialen Werte verlachen und nichts dabei finden, sich einfach als westliche Menschen neu zu erfinden, ukrainische westliche Menschen oder russische westliche Menschen; dieses Ressentiment also hat er sich in seiner Altmännereinsamkeit - an Tischen von den Dimensionen eines Waräger-Schiffsgrabes -  zu Hass verdichtet, harzigem, klebrigem Hass, der alles beschmutzt, was mit ihm in Kontakt kommt. Und dann, nächster Schritt, hat er diesen Hass in Gewalt umgemünzt, in Krieg und Mord und Folter.

Der Hass der russischen Alten und die vorwurfsvoll jammernde Schwarzseherei der deutschen Alten - sie haben beide etwas zutiefst Gestriges. Und sie ergänzen einander unheilvoll: Die russische Senioren-Kamarilla kann ihre jungen Menschen deshalb zu (selbst)mörderischen Angriffen auf die ukrainischen Nachbarn treiben, weil die deutsche Seniorengesellschaft zaghaft und zeternd um Nicht-Probleme wie Gendern und Bauerndiesel kreist. Und in anderen europäischen Ländern ist es nicht besser. 

 

Alte Wut

Wir lassen uns durch die Fixierung auf Alte-Leute-Themen davon abhalten, uns energisch den Fragen der Zeit zu widmen. Ja, auch der Wutbürgerärger über “die da oben” ist ein Alte-Leute-Thema - junge Menschen haben mit “oben” kein Problem, da sie sich selbst noch auf dem Weg dorthin sehen. Auch Schuldenbremsen sind eine Obsession der Alten: “Die Jungen verprassen sonst unseren Wohlstand”. Dass das Sparen doch der kommenden Generation zu Gute komme, ist dabei eine Schutzbehauptung, haben die heute Alten doch selbst sehr gut auf Pump gelebt, als sie jung waren; auf Kosten der Familie, des Staates, der Bank, der Umwelt und auch auf Kosten künftiger Generationen. 

Aber Heizungsgesetze, Gendersterne, sogar Asylreformen - das alles ist ziemlich egal, wenn man Energie und Mut hat. Nicht gleichgültig, aber wenig dramatisch. Es ist  Veränderung in homöopathischen Dosen. Und gleich ob wir das im Einzelnen nun gut oder schlecht finden: Die Welt geht nicht unter, wenn man mal nicht seinen Willen kriegt. Erwachsene wissen das eigentlich. 

 

"Alt und Jung, Ver-än-de-rung!"

Wo waren wir stehengeblieben? Veränderung. Die brauchen wir dringend, auch wenn die Alten sie nicht wollen. Wir brauchen viel mehr Europa, und zwar ein viel besseres Europa. Wir brauchen Wirtschaftsdynamik und Klimaneutralität. Wir brauchen eine viele Themen aufgreifende Außenpolitik, die Strukturen für die nächsten fünfzig Jahre bauen will; denn alle großen Fragen der Zeit werden außerhalb der deutschen Grenzen entschieden. Und wir brauchen Aufrüstung, materiell und mental, denn ohne Kampfgeist werden die nötigen Veränderungen nicht zu erreichen sein. 

Wir brauchen die Alten, die verstehen, dass die Jungen vieles anders machen müssen, um wenigstens einiges besser machen zu können. Und wir brauchen die Jungen, die verstehen, dass sie das Rad nicht neu zu erfinden brauchen, denn viele ihrer klugen Ideen haben einige Alte auch schon einmal gedacht. 
Wir brauchen neue Wege. Die Jungen werden sie finden, denn sie haben die vorbehaltlose Neu-Gier, an deren Stelle bei den Alten die regressive Leidenschaft für Antiquitäten - alte Häuser, alte Whiskys, alte Ideen  - getreten ist. Die Alten werden die Jungen heimlich beneiden und bewundern. Sie werden ein bisschen stolz auf sie sein, und sie werden nörgeln. 

Das Recht, ohne Risiko für die soziale Reputation über Dinge zu schimpfen, die man gut finden sollte, ist das schönste Privileg des Alters. Aber dafür lasst die Jungen jetzt mal machen.


 

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