Revolution in Tunesien, Revolution in Ägypten, Aufruhr von Algerien bis Iran. Haben die Menschen auf den Straßen von Bengasi und Algier, von Sanaa, Manama und Teheran eine Chance, die Erfolge der Tunesier und Ägypter zu wiederholen?

Jamie Kenny glaubt, dass die Regime aus dem Ablauf der Ereignisse in Tunesien und Ägypten gelernt haben, und beschreibt auf „A Fistful of Euros“ die Techniken der Konterrevolution.

Wir möchten uns mit einer allgemeineren Frage beschäftigen: Wann sind Revolutionsversuche überhaupt erfolgreich? Nehmen wir folgenden Fall an: Eine große Mehrheit der Bevölkerung ist mit den Lebensverhältnissen im Land sehr unzufrieden und hält das herrschende Regime für verantwortlich; ausgelöst durch ein eher zufälliges Ereignis kommt es zu öffentlichen Protesten, die schnell eine gewisse Eigendynamik erhalten; mehr und mehr Menschen schließen sich an. Das Regime aber kontrolliert die Sicherheitskräfte; man traut ihm die Bereitschaft zu, die Proteste in Blut zu ersticken.

Unter welchen Bedingungen nun haben die protestierenden Bürger, die das Regime stürzen sehen wollen, eine gute Aussicht auf Erfolg?

Hier unser Wunschszenario:

1. Die herrschenden Eliten, zumindest große Teile davon, haben selbst den Glauben an ihr System verloren. Sie glauben vor allem nicht mehr, dass sie die Probleme ihres Landes in absehbarer Zeit werden lösen und so die Zufriedenheit der Bevölkerung wieder werden herstellen können.

 
2. Deshalb haben sie auch ihr Zutrauen zum Einsatz von Gewalt verloren. Denn ein Einsatz von Gewalt würde die Probleme nicht lösen; daher würde die Opposition wieder und wieder Anläufe zum Umsturz unternehmen. Früher oder später würde das Regime die Loyalität der Sicherheitskräfte verlieren, die ja selbst auch zur Bevölkerung gehören und die Probleme des Landes registrieren.

3. Die revolutionierende Opposition zeigt sich vergleichsweise friedfertig und nicht rachedurstig, zumindest nicht gegenüber den unauffälligeren Vertretern des Regimes. Die meisten Vertreter des Systems fühlen sich daher nicht ernsthaft persönlich bedroht und daher wiederum nicht gezwungen, aus Gründen der persönlichen Sicherheit Gewalt anzuwenden.

4. Wenn es außerhalb der Landesgrenzen gleichzeitig Vorbilder für erfolgreiche Veränderungen gibt, wird die Bevölkerung zu eigenem Vorgehen ermutigt und die herrschende Elite entmutigt.

5. Wenn Massenmedien die revolutionären Ereignisse halbwegs tatsachengetreu wiedergeben, beschleunigt sich die Mobilisierung der Bevölkerung enorm. Und je schneller eine Revolution abläuft, desto geringer sind die Möglichkeiten der Herrschenden, ihren Widerstand zu organisieren.

Dieses Szenario ist den europäischen Revolutionen von 1989 abgeschaut. Es scheint uns aber allgemein genug, um auch auf andere Revolutionsversuche zu passen.

In der gegenwärtigen Lage im Maghreb und im Nahen Osten ist der Punkt 4 offensichtlich, der Punkt 5 teilweise gegeben. Entscheidend sind jetzt die Punkte 1 und 3. Glauben die herrschenden Eliten noch daran, die Probleme ihres Landes in den Griff bekommen zu können, oder haben sie im Stillen schon resigniert? Verfallen die Protestbürger nach den ersten gewaltsamen Zusammenstößen in eine radikale Kopf-ab-Rhetorik, oder bleiben sie gemäßigt, aber hartnäckig?

Sind die Eliten des Regimes von sich selbst überzeugt, und droht die Bürgeropposition ihnen gleichzeitig unverhohlen mit Rache, dann ist eine gewaltsame Niederschlagung der Proteste fast sicher. Im günstigsten Falle käme es zum Bürgerkrieg, aber ist das ein günstiger Fall?

Macht sich dagegen Weltuntergangsstimmung unter den Herrschenden breit, während die Opposition gleichzeitig maßvoll bleibt und klar macht, dass die bisherigen Stützen des Regimes nicht an Laternenpfählen oder im Verlies enden werden, dann ist eine widerstandslose Implosion des Systems wahrscheinlich.

Zwischen diesen Extremfällen gibt es eine Reihe von Abstufungen.

Sicher stellt sich die Situation derzeit von Land zu Land anders dar. Es wird aber deutlich, dass die Außenwelt, namentlich Europa und die USA, durchaus etwas zum Gelingen der Revolutionen beisteuern können. Europäer und Amerikaner können ihren Beitrag dazu leisten, die herrschenden Eliten zu demoralisieren: Man kann den Regimes demonstrativ politische und wirtschaftliche Unterstützung entziehen. „Wir trauen euch nicht mehr zu, das Blatt noch zu wenden“, lautet die Botschaft. Gleichzeitig bietet man den Führern insgeheim eine Zuflucht an und zerstreut so deren Sorgen um ihre persönliche Sicherheit: „Ihr braucht nicht auf eurem Schild zu sterben... Verbringt doch bei uns einen ruhigen Lebensabend.“
 

P.S. Roxane Farmanfarmaian stellt auf Aljazeera eine Liste mit anderen Merkmalen erfolgreicher Revolutionen vor. Ihr geschichtliches Vorbild ist die iranische Revolution von 1979. - Zum Vergleich empfohlen.

 

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