Die Abgründe des religiösen Hasses, die sich derzeit in Syrien und im Irak auftun, sollten uns Deutschen nicht fremd sein:  Der mühselige Weg zur deutschen Einheit führte auch über diese Schlünde. Vor 459 Jahren wurde ein erster Pfeiler zur Überbrückung der religiösen Spaltung Mitteleuropas errichtet: Der Augsburger Religionsfriede von 1555. Hier kamen katholische und protestantische Deutsche überein, dass sie einander künftig nicht mehr unter Vorwand der Religion nach Lust und Laune ausplündern und totschlagen wollten.

Den entsetzlichen Dreißigjährigen Krieg, die Mutter aller Religionskriege, hat das Augsburger Dokument nicht verhindert; dafür war der Friede an vielen Stellen nicht detailliert genug. Es gab etliche strittige Punkte, und es wurden keine Institutionen geschaffen, die – in Ermangelung echten Vertrauens – wenigstens das Machtgleichgewicht der Konfessionen hätten garantieren können.

Knapp hundert Jahre und einige Millionen Tote später kam man schließlich im Westfälischen Frieden auf die Prinzipien von Augsburg zurück. Diesen Umweg sollten sich die Menschen im Nahen Osten ersparen.



Für alle, die es angeht:

Der Augsburger Religionsfrieden vom September 1555
, §§ 13-15

§ 13
(…)

Um der Stände und Untertanen Gemüter wieder in Ruhe und Vertrauen gegeneinander zu stellen, die Deutsche Nation, Unser geliebtes Vaterland, vor endlicher Zertrennung und Untergang zu behüten, haben Wir Uns mit der Kurfürsten Räten und Geordneten, den erscheinenden Fürsten und Ständen, der Abwesenden Botschaften und Gesandten und sie hinwieder sich mit Uns vereinigt und verglichen.


 § 14

Setzen demnach, ordnen, wollen und gebieten, dass von nun an niemand, welcher Würde, welchen Standes oder Wesens er auch sei, um keinerlei Ursachen willen ... den andern befehden, bekriegen, berauben, fangen, überziehen, belagern soll; auch dazu weder für sich selbst oder noch für jemand anderen in dessen Namen nicht dienen soll; noch irgendein Schloss, Städte, Markt, Befestigung, Dörfer, Höfe und Weiler absteigen oder ohne des anderen Willen mit gewaltsamer Tat freventlich einnehmen oder gefährlich mit Brand oder auf anderen Wegen beschädigen soll; noch jemand solchen Tätern Rat, Hilfe und in keiner anderen Weise Beistand oder Vorschub tun soll, auch sie wissentlich und gefährlich nicht beherbergen, behausen, verpflegen, enthalten oder gedulden; sondern ein jeder den anderen mit rechter Freundschaft und christlicher Liebe meinen, auch kein Stand noch Glied des Heiligen Reichs dem anderen, so an gebührenden Orten Recht leiden mag, den freien Zugang von Proviant, Nahrung, Gewerbe, Rente, Geld und Einkommen abstricken noch aufhalten soll, sondern in alle Wege die Kaiserl. Majestät und Wir alle Stände und hinwiederum die Stände die Kaiserliche Majestät, Uns, auch ein Stand den anderen bei diesen nachfolgenden Religions-, auch gemeiner Konstitution des aufgerichten Land-Friedens alles Inhalts bleiben lassen sollen.


 § 15

 Und damit solcher Friede auch der spaltigen Religion halben ... desto beständiger zwischen der Römisch Kaiserlichen Majestät, Uns, auch Kurfürsten, Fürsten und Ständen des Heiligen Reichs Deutscher Nation angestellt, aufgerichtet und erhalten werden möchte, so sollen die Kaiserliche Majestät, Wir, auch Kurfürsten, Fürsten und Stände des Heiligen Reichs keinen Stand des Reichs von wegen der Augsburgischen Konfession und derselbigen Lehre, Religion und Glaubens halber mit der Tat gewaltsamer Weise überziehen, beschädigen, vergewaltigen oder in andere Wege wider sein Conscientz, Gewissen und Willen … in ihren Fürstentümern, Landen und Herrschaften dringen ... oder in einiger anderer Gestalt beschweren oder verachten, sondern man soll sie bei solcher Religion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Zeremonien, auch bei ihrem Hab und Gut, liegend und fahrend, Land, Leuten, Herrschaften, Obrigkeiten, Herrlichkeiten und Gerechtigkeiten ruhiglich und friedlich bleiben lassen, und es soll die streitige Religion nicht anders denn durch christliche, freundliche, friedliche Mittel und Wege zu einhelligem, christlichem Verstand und Vergleichung gebracht werden...

(…)

Gegeben in Unseres Königs Ferdinands und des Heiligen Reichs Stadt Augsburg, auf den fünfundzwanzigsten Tag des Monats Septembris nach Christi Unsers lieben Herrn Geburt, im fünfzehnhundertundfünfundfünfzigsten Jahr, Unserer Reich des Römischen im fünfundzwanzigsten, und der andern im neunundzwanzigsten.

 Ferdinandus.


(Anmerkungen zum Verständnis:
Ferdinand I. war damals schon Römisch-Deutscher König, aber noch nicht Kaiser. Diesen Titel führte noch Karl V. , der aber schon seine Abdankung plante und am Reichstag nicht teilnahm. Daher auch die Unterscheidung zwischen „der Römisch Kaiserlichen Majestät“ (= Karl V.) und „Uns“ (= Ferdinand I.)
Die „Augsburgische Konfession“ war das offizielle Bekenntnisdokument der evangelischen Reichsstände zu ihrem Glauben aus dem Jahre 1530.)




Länderfinanzausgleich hin oder her: Wir Deutschen leben auch deshalb in einem Staat, damit wir uns politisch-weltanschaulich nicht erneut so auseinanderleben, dass wir irgendwann mit Breitschwertern oder Kampfpanzern aufeinander losgehen – und im Kalten Krieg wäre das beinahe schon wieder passiert.





Bonusmaterial für alle Gegner der letzten zwanzig Rechtschreibreformen: Der Text in einer frühen Fassung

§ 13
(…)

(Um) der Ständ und Unterthanen Gemüther wiederum in Ruhe und Vertrauen gegen einander zu stellen / die Teutsche Nation / Unser geliebt Vatterland / vor endlicher Zertrennung und Untergang zu verhüten / haben Wir Uns mit der Churfürsten Räthen und Geordneten / den erscheinenden Fürsten und Ständen / der Abwesenden Bottschafften und Gesandten und sie hinwieder sich mit Uns vereinigt und verglichen.


 § 14

Setzen demnach / ordnen / wöllen und gebieten / daß hinfüro niemands / was Würden / Stands oder Wesen der sey / um keinerley Ursachen willen / wie die Namen haben möchten / auch in was gesuchtem Schein das geschehe / den andern bevehden / bekriegen / berauben / fahen / überziehen / belägern / auch darzu für sich selbs oder jemands andern von seinetwegen nit dienen / noch einig Schloß / Städt / Marckt / Befestigung / Dörffer / Höffe und Weyler absteigen oder ohn des andern Willen mit gewaltiger That freventlich einnehmen oder gefährlich mit Brand oder in andere Wege beschädigen / noch jemands solchen Thätern Rath / Hülff und in kein andere Weiß Beystand oder Fürschub thun / auch sie wissentlich und gefährlich nicht herbergen / behausen / etzen / träncken / enthalten oder gedulden / sondern ein jeder den andern mit rechter Freundschafft und Christlicher Lieb meynen / auch kein Stand noch Glied des H. Reichs dem andern / so an gebührenden Orten Recht leyden mag / den freyen Zugang der Proviant / Nahrung / Gewerb / Renth / Gült und Einkommen abstricken noch aufhalten / sonder in alle Wege die Kayserl. Majestät und Wir alle Stände und hinwiederum die Stände die Kayserl. Maj. / Uns / auch ein Stand den andern bey diesen nachfolgenden Religions- / auch gemeiner Constitution des aufgerichten Land-Friedens alles Innhalts bleiben lassen sollen.


 § 15

 Und damit solcher Fried auch der spaltigen Religion halben / wie aus hievor vermelten und angezogenen Ursachen die hohe Nothdurfft des H. Reichs Teutscher Nation erfordert / desto beständiger zwischen der Röm. Rayserl. Maj. / Uns / auch Churfürsten / Fürsten und Ständen des H. Reichs Teutscher Nation angestellt / aufgericht und erhalten werden möchte / so sollen die Kayserl. Maj. / Wir / auch Churfürsten / Fürsten und Stände des H. Reichs keinen Stand des Reichs von wegen der Augspurgischen Confession und derselbigen Lehr / Religion und Glaubens halb mit der That gewaltiger Weiß überziehen / beschädigen / vergewaltigen oder in andere Wege wider sein Conscientz / Gewissen und Willen von dieser Augspurgischen Confessions-Religion / Glauben / Kirchengebräuchen / Ordnungen und Ceremonien / so sie aufgericht oder nochmals aufrichten möchten / in ihren Fürstenthumen / Landen und Herrschafften tringen oder durch Mandat oder in einiger anderer Gestalt beschweren oder verachten / sondern bey solcher Religion / Glauben / Kirchengebräuchen / Ordnungen und Ceremonien / auch ihren Haab / Gütern / liegend und fahrend / Land / Leuthen / Herrschafften / Obrigkeiten / Herrlichkeiten und Gerechtigkeiten ruhiglich und friedlich bleiben lassen / und soll die streitige Religion nicht anders dann durch Christliche / freundliche / friedliche Mittel und Wege zu einhelligem / Christlichem Verstand und Vergleichung gebracht werden / alles bey Kayserl. und Königl. Würden / Fürstl. Ehren / wahren Worten und Pön des Land-Friedens.

(...)

Geben in Unser König Ferdinandi und des Heiligen Reichs Stadt Augspurg / auf den fünff und zwantzigsten Tag des Monats Septembris nach Christi Unsers lieben Herrn Geburt / im fünffzehen hundert und fünff und fünfftzigsten Jahr / Unserer Reich des Römischen im fünff und zwantzigsten / und der andern im neun und zwantzigsten.


 Ferdinandus.



Gesamtes Dokument:

Augsburger Reichsabschied vom 25. September 1555


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