Der jüngst veröffentlichte EU-Bericht zum Georgienkrieg 2008 hat unsere Aufmerksamkeit wieder auf Russland gerichtet – und uns an die Welle hysterischer Russophobie erinnert, die im August letzten Jahres durch die Kommentarsparten westlicher Massenmedien schwappte; vor allem solcher im nichtdeutschsprachigen Raum. Ist die Militärmacht Russland also wieder da? Müssen sich Russlands Nachbarn in Europa, schaudernd angesichts der Klauen des Bären, wieder hinter dem breiten Rücken des amerikanischen Hegemons bergen?

Auf den Seiten der Stiftung Wissenschaft und Politik findet sich dieser Tage eine Analyse von Margarete Klein zu „Russlands Militärpotential zwischen Großmachtanspruch und Wirklichkeit“. Fazit: Russland wäre wohl gerne ein großer gefährlicher Bär, tatsächlich sind Krallen und Zähne aber stumpf.

Dass Russlands Militär nach dem Zerfall der Sowjetunion eine Phase dramatischen Niedergangs durchmachte, ist bekannt. Dass sich die russische Politik im neuen Jahrtausend ernsthaft um eine Konsolidierung der Streitkräfte - durch neue Investitionen in moderne Waffensysteme, verbesserte Ausbildung des Personals und nachhaltige Strukturreformen -  bemüht, ist ebenfalls kein Geheimnis. Wie wenig das bislang gebracht hat, war mir neu.

Auf dem Papier ist Russland ein militärischer Riese inmitten von europäischen, vorder- und mittelasiatischen Zwergen. 1,13 Millionen Soldaten unter Waffen, über 23.000 Panzer, über 1.700 Kampfflugzeuge, 61 große Überwasserkampfschiffe, 52 taktische U-Boote.

Aber: Nur 10% dieser und anderer konventioneller Waffensysteme sind modern oder zumindest gut gewartet. Unter den 23.000 Panzern z.B. sind nur 200-300 moderne T-90; von den 1.700 Kampfflugzeugen sind nur 6% neue oder zumindest kampfwertgesteigerte Modelle.

Die Modernisierung der konventionellen Bewaffnung stößt auf große Probleme. Bis 2020 sollen 70% der konventionellen Waffensysteme modernen Ansprüchen genügen; das ist trotz einer geplanten Verringerung des Gesamtbestandes ein ehrgeiziges Ziel. Das einstweilige Ende des Ölbooms und die Weltwirtschaftskrise haben aber die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel stark eingeschränkt.  Darüber hinaus ist der Zustand der russischen Rüstungsindustrie schlecht: Nur 37% der Betriebe waren 2007 in guter wirtschaftlicher Verfassung. Teilweise gravierende Produktionsmängel und verschleppte wehrtechnische Innovationen stellen zumindest den Zeitplan des Rüstungsprogramms in Frage.

Vielleicht noch gravierender ist die Qualität des militärischen Personals.  Das Offizierskorps ist aufgebläht – auf 2,5 gemeine Soldaten kommt 1 Offizier. Grund ist das Konzept der Mobilisierungsarmee, nach dem zahlreiche Einheiten im Frieden nur auf dem Papier existieren; im Kriegsfall werden sie mit Reservisten aufgefüllt. Die Offiziere dieser virtuellen Truppen besetzen ihre Posten aber schon im Frieden – Häuptlinge ohne Indianer, die kaum Gelegenheit haben, Kompetenz in Menschen- oder gar Kriegführung zu erwerben. Aber auch das Unteroffizierskorps ist schlecht ausgebildet; Zeitsoldaten oder gar Wehrpflichtige werden in Schnellkursen auf Führungspositionen vorbereitet. Dieses weitreichende Führungsdefizit schlägt sich vielerorts in Disziplinlosigkeit, schikanösen Verhältnissen oder auch Korruption nieder.

Die geplante Militärreform will die Zahl der Offiziere halbieren und eine umfassende Unteroffiziersausbildung einführen. Zudem soll – bei Beibehaltung der Wehrpflicht - verstärkt auf Zeitsoldaten gesetzt werden, um ein höheres Ausbildungs- und Erfahrungsniveau zu gewährleisten. Eliteeinheiten sollen nur noch aus Längerdienenden bestehen. Diese Professionalisierung der Streitkräfte ist allerdings teuer – Zeit- und Berufssoldaten kosten mehr als Wehrpflichtige. Aus eben diesem Grund ist die Umsetzung dieser Pläne mit einem Fragezeichen zu versehen.

Problematisch ist weiterhin auch das Trainingsniveau der Streitkräfte, das aus Kostengründen in den 90er Jahren drastisch abgesackt war. Zwar werden mittlerweile wieder größere Manöver durchgeführt, die Marine unternimmt wieder lange Ausbildungsfahrten und die Piloten können wieder mehr Flüge absolvieren. Trotzdem bleibt die Trainingsintensität deutlich unter dem, was in westlichen Ländern üblich ist.

Im Georgienkrieg 2008 traten viele dieser Probleme zutage:  Ausrüstungsmängel bei Aufklärungs- und Kommunikationssystemen, das Fehlen von Trägersystemen für Präzisionswaffen, die geringe Zahl trainierter Piloten, fähiger Offiziere und gut ausgebildeter Mannschaften.  Der Sieg beruhte im Wesentlichen auf guter Vorbereitung, zahlenmäßiger Überlegenheit und georgischen Fehlern.

Deutlich anders ist die Situation bei Russlands strategischen Nuklearstreitkräften. Hier wurde schon in den 90ern weiter investiert und bis heute kontinuierlich modernisiert. Tatsächlich befinden die russischen Streitkräfte sich hier nach wie vor auf Augenhöhe mit den USA. Zwar wird das russische Arsenal künftig schrumpfen – alternde Raketensysteme werden durch eine geringere Zahl modernerer Systeme ersetzt – dem steht aber eine qualitative Verbesserung gegenüber. Allein Russlands Atomraketen machen das Land heute noch zu einer Weltmacht. Das ist auch der Grund, warum Russland an weitreichender nuklearer Abrüstung kaum ein Interesse haben dürfte.

Soweit einige Ergebnisse der Studie. Was bleibt unter dem Strich an Erkenntnissen?

Russlands Ambitionen sind größer als sein wirtschaftliches und militärisches Potenzial. Ehrgeizige militärische Modernisierungsbemühungen drohen an ökonomischen Realitäten zu scheitern. Das Land könnte wohl ohne Weiteres moderne, mittelgroße Streitkräfte aufbauen, die dann auf konventioneller Ebene in einer Liga mit der Bundeswehr, mit den französischen oder britischen Streitkräften spielen könnten. Das aber ist den Eliten in Moskau zu klein gedacht. Auch das reformierte russische Militär bleibt auf die USA als Maßstab fixiert – man möchte eine Million Mann, 6000 Kampfpanzer, davon 2000 jederzeit einsatzfähig. Im Ergebnis reicht das Geld hinten und vorne nicht, und die Masse der Truppe bleibt zweitklassig. Das allerdings dürfte immer noch hinreichen, um sich auf dem Gebiet der GUS als Hegemonialmacht zu behaupten. Gegenüber den USA und China müssen dann wie bisher die strategischen Nuklearkräfte ausreichen, um für den Respekt zu sorgen, auf den man Anspruch zu haben glaubt.

Und was sollen all diese großmächtigen Autarkieträume? Warum muss das russische Militär allein gegen alle bestehen können? Kern des Problems ist letztlich das bislang unausrottbare russische Misstrauen gegenüber „dem Westen“; ein Misstrauen, dessen Wurzeln tief in die russische Geschichte zurückreichen. Eine echte militärische Kooperation mit Europa – von den USA wollen wir gar nicht reden –  ist hier nur schwer vorstellbar, wie rational, ressourcen- und nervenschonend dieser Ansatz unsereinem auch immer erscheinen mag. Dass auch in Europa dazu so mancher Schatten übersprungen werden müsste, macht die Sache natürlich nicht leichter.
   

Links:

Margarete Klein: Russlands Militärpotential zwischen Großmachtanspruch und Wirklichkeit,
auf den Seiten der Stiftung Wissenschaft und Politik

Bericht der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission zum Konflikt in Georgien 

     

 

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  • reichsfrei.de  
    Europa und die amerikanische Illusion
    20 Jahre nach dem Mauerfall und 18 Jahre nach der Auflösung der Sowjetunion lässt das Ende der zweiten Supermacht immer noch auf sich warten. Nach wie vor behaupten die USA eine unbestrittene Hegemonie, wenn schon nicht mehr in der internationalen Politik ...

3 Kommentare

Linear

  • franko  
    Mag ja sein, dass Russland z.Z. etwas schwach auf der Brust ist. Aber vergesst nicht: Russland ist böse... ;-)
    • Anonym  
      1 russland ist nicht böse
      2 russland hat das böseste land bisher besiegt deutschland
      3 russland bruacht nur eine atomrakete auf amerika u.s.w zu schiken dann wer dises land in 9999999999999999999999999999999999 einzelteile zerspllitert
      4 seit president putin an der macht ist hat und wird sich das land bessern
      5 RUSSLAND WIRD EINE WELTMACHT UND BLEIBT EINE WELT MACHT WER weis wie STARK russland IN !== JAHREN sein könnte OO
      • franko  
        Huch, habe ich die Ironie seinerzeit nicht deutlich genug gemacht? NATÜRLICH ist Russland nicht böse... :-)

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