Der deutsche MichelÜber 20 Jahre lang lobten sich Deutschlands Politiker für die „Kontinuität der deutschen Außenpolitik“. Damit ist es seit der Münchener Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende vorbei. Endlich. Denn wenn die Probleme sich ändern, darf die politische Antwort nicht dieselbe bleiben.

Bundespräsident, Außenminister und Verteidigungsministerin wollen, dass Deutschland künftig in der Außen- und Sicherheitspolitik mehr tut – „mehr Verantwortung übernimmt“, wie man das gerne nennt. Das wirtschaftsgrößte Land Europas soll nicht länger unwillig der Gruppe hinterhertrotten, wenn andere Länder versuchen, Europas Sicherheitsprobleme in den Griff zu kriegen. Deutschland soll mehr Ideen, mehr Energie und zur Not auch mehr Soldaten einbringen – und zwar frühzeitig, nicht erst dann, wenn die Flüchtlinge aus den Krisengebieten schon vor unserer Tür stehen.

Wir vernehmen's mit einer Mischung aus Erleichterung und Unglauben. Zumindest sagt es einmal ein führender Politiker: dass nämlich die fabelhafte Kultur der Zurückhaltung auch das geistige Milieu sein kann, in dem politisches und moralisches Versagen gedeiht.

Ob dem wohlfeilen Wort allerdings auch die tüchtige Tat folgt, ist eine andere Frage. Der Diskurs bleibt bisher gewohnt allgemein. „Mehr Engagement“, „mehr Initiative für europäische Sicherheitsstrukturen“, „Militär als äußerstes Mittel“ - zu welchem Zweck , mit welchen Zielen wird nicht gesagt. Es macht aber schon einen Unterschied, ob man „mehr Engagement“ bei der Befriedung Syriens oder doch nur „mehr Engagement“ bei der Beseitigung von Steueroasen zeigen will.

Hauptadressat der konzertierten Aktion der drei Politiker ist aber ohnehin die deutsche Öffentlichkeit. Seit langem schon versuchen Fachpolitiker, Wissenschaftler, Publizisten und – nun ja – auch Blogger eine öffentliche Debatte über Außenpolitik anzustoßen, bislang mit bemerkenswert geringem Erfolg. Die Reden Gaucks, Steinmeiers und von der Leyens nun haben teilweise hysterische Reaktionen in den Kommentarspalten der großen Internetmedien ausgelöst. Zumindest die Tatsache, dass Diskussionsbedarf besteht, scheint also verstanden zu werden. Das ist ja schon mal was.

Dass in Deutschland nach wie vor viele Menschen hyperventilieren, sobald in einer Rede das Wort „militärisch“ vorkommt, ist interessant. Die Zahl der hasserfüllten Kommentare vor allem zu Gaucks Beitrag geht in die Hunderte oder Tausende. Viele der Kommentatoren haben anscheinend die Rede weder ganz gehört noch gelesen, sondern reagieren in geradezu Pawlow'scher Manier auf einige Reizwörter. Gauck hat gar keinen konkreten militärischen Einsatz gefordert, sondern nur erwähnt, dass Pazifismus nicht automatisch edler und klüger ist als der bewaffnete Kampf, und dass ein UN-Militäreinsatz im äußersten Fall möglich sein sollte. Das ist eigentlich für jeden eine Selbstverständlichkeit, der sich daran erinnert, dass die Nazis 1945 nicht durch Pazifisten überwunden wurden. Aber wie Pawlows Hunden beim Klang der Futterglocke auch dann der Speichel aus dem Maul rinnt, wenn es gar nichts zu futtern gibt, so reagieren auch wir Deutsche auf das Wort „Militär“ sofort mit „Kriegstreiber“-Geschrei, selbst wenn gar kein Krieg gefordert wird.

Aber es gibt Hoffnung. Außenminister Steinmeier fordert in der Sache exakt dasselbe wie Gauck. Und Steinmeier wurde im ARD-Deutschlandtrend von den Befragten gerade zum beliebtesten Politiker Deutschlands gekürt. Wir sind ein komisches Volk.



Die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck zur Eröffnung der Münchner Sicherheitskonferenz

Die Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf der Münchner Sicherheitskonferenz
(verlinkt unter dem Datum 1.2. - Direktlink funktioniert irgendwie nicht)

Die Rede von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen auf der Münchner Sicherheitskonferenz (Pdf-Dokument)

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Bild: Michel und seine Kappe im Jahr 48. Anonyme Karikatur aus dem Eulenspiegel.


 

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