Wie andere auch haben wir uns wiederholt über das Fehlen einer übergreifenden strategischen Orientierung in der deutschen Sicherheitspolitik beschwert. Einer dieser anderen ist James D. Bindenagel, der sich in einem Aufsatz für eine Publikation der amerikanischen National Defense University mit der deutschen Rolle in Afghanistan beschäftigt.

Auch er konstatiert ein strategisches Defizit, hat aber fünf Grundprinzipien – first principles –  der deutschen Sicherheitspolitik ausgemacht, die dieser Politik de facto eine berechenbare Struktur verleihen.

  • Deutschland ist grundsätzlich zum Einsatz von Militär bereit, und zwar im Rahmen seiner Bündnisse – NATO, EU, UNO – und gemeinsam mit seinen Verbündeten.
  • Deutschland bezieht die Interessen Russlands in sein sicherheitspolitisches Kalkül ein; nach Maßgabe seiner eigenen nationalen Interessen und unter Berücksichtigung von Verpflichtungen, die Deutschland bei der Wiedervereinigung gegenüber Russland auf sich genommen hat.
  • Nach wie vor soll die Bundeswehr vor allem das deutsche Staatsgebiet verteidigen, gleichzeitig aber auch ihren Bündnisverpflichtungen nachkommen.
  • Deutschland hat eine Aversion gegen die Anwendung militärischer Gewalt, und legt daher bei Militäreinsätzen den Schwerpunkt auf Ausbildung, Wiederaufbau und Stabilisierung.
  • Deutschland ist bereit, militärische Gewalt anzuwenden, um die Opfer von Völkermord zu schützen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberungen zu verhindern. Es ist nicht bereit, Gewalt präventiv einzusetzen.

Diese Prinzipien leitet Bindenagel aus seinen Beobachtungen ab; eine diesen beobachteten Phänomenen zugrunde liegende konzeptionelle Motivation, die den Namen „Strategie“ verdienen könnte, sieht er nicht.

Nun, wir auch nicht. Interessant finden wir diese Prinzipien trotzdem: Sie stecken die Umrisse dessen ab, was man u.E. als Deutschlands sicherheitspolitische Kultur bezeichnen kann:

  • Deutschland schwankt zwischen isolationistischer und internationalistischer Neigung. Wenn man sich außerhalb der unmittelbaren geographischen Umgebung sicherheitspolitisch engagiert, dann fast immer  im Rahmen von Bündnissen – als ein Land unter vielen. Man lässt sich gerne von Bündnispartnern mitziehen, ist aber auch zufrieden, wenn man nicht gezogen wird. Eigeninitiative ist selten.
     
  • Deutschland ist unsicher bei der Bewertung militärischer Gewalt. Wann ist sie moralisch, wann unmoralisch? Wann Erfolg versprechend, wann nicht? Zu internationalem militärischem Engagement ist Deutschland dann bereit, wenn für das nationale Selbstverständnis zentrale Werte berührt sind, wenn man nicht allein handeln muss, wenn keine Kampfhandlungen größeren Ausmaßes erwartet werden. Ob ein Militäreinsatz Erfolg verspricht, ist nicht unbedingt ein Kriterium. Sicher hingegen ist die strikte Ablehnung von Unterwerfungs- und Eroberungskriegen.
      
  • Deutschland sieht sich in einer Mittellage. Seine politische Identifikation mit dem Westen geht nicht soweit, dass es seine spezifischen Interessen im Osten darüber vergessen würde.

Dies als erster Ansatz. Was ist noch für Deutschlands sicherheitspolitische Kultur typisch?

   
   

2 Kommentare

Linear

  • Stein  
    Typisch für Deutschlands sicherheitspolitische Kultur ist auch, dass man die nationalen deutschen Interessen hinter internationalistischer Rhetorik versteckt. Das ist aber problematisch, weil im Ausland dadurch der Eindruck entsteht, wir wären nicht ehrlich - und im Inland der Eindruck entsteht, unsere Außenpolitiker würden sich nicht um die Belange des eigenen Volks kümmern, sondern unbekümmert Geld und Ressourcen für Dinge verschwenden, von denen die Deutschen selbst nichts haben. Daher kommt der verbreitete Glaube, nach dem die EU oder der Euro nicht im deutschen Interesse wären. Das sind sie natürlich sehr wohl, so sind sie den Leuten aber nicht verkauft worden. Ähnlich liegen die Dinge bei Afghanistan.
  • carolus  
    Was bei Bindenagel und auch im Posting fehlt, ist die europäische Dimension. Kann es nicht einfach sein, dass Deutschland sich sicherheitspolitisch nicht so spektakulär aufspielt, weil die politische Klasse begriffen hat, dass Sicherheitspolitik bei der EU viel besser aufgehoben wäre?
    Der wichtigste Beitrag zur deutschen Sicherheit ist es, wenn man hinter den Kulissen die Entwicklung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik fördert!

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