Heute nur ein paar Lektürevorschläge. Was aus der Europäischen Union werden kann, werden soll, werden wird, fragen nicht nur wir uns hier in diesem Blog – auch andere treibt das Thema um.

Ein Projektteam der Friedrich-Ebert-Stiftung hat Szenarien für die Zukunft der Eurozone entwickelt. Dabei scheinen vor allem vier Möglichkeiten auf:
  1. Durchwursteln wie bisher: Europa stolpert weiterhin von Krisengipfel zu Krisengipfel.
  2. Die Eurozone löst sich auf: Heulen und Zähneknirschen.
  3. Einige Länder werden aus der Eurozone ausgeschlossen, und es entwickelt sich ein Zwei-Ebenen-Europa: eine Ebene verstärkter Integration, bei der nur einige Kernländer mitmachen, und eine zweite Ebene lockerer Kooperation, bei der alle dabei sind.
  4. Weiterentwicklung der Eurozone zu einer echten politischen und fiskalischen Union: der Weg hin zur Euro-Nation.
Diese Szenarien an sich sind nicht besonders spektakulär; da wären wir wohl noch selbst drauf gekommen. Interessant ist aber, dass diese Szenarien in 13 verschiedenen europäischen Ländern durchdiskutiert wurden. Je nach nationalem Gesichtspunkt werden die Wahrscheinlichkeit und die Wünschbarkeit der vier Zukunftsentwürfe sehr unterschiedlich bewertet. Wir Europäer sind uns über die Natur der Krise – über Ursachen, Verlauf, Stand und Perspektiven – keineswegs einig. Unstimmigkeiten gibt es da nicht nur zwischen Deutschland, Frankreich und den sogenannten Südländern...


Dies ist der Blick von innen. Für den Außenbetrachter stellt sich die Frage nach Europas Zukunft anders – hier geht es um die künftige Rolle Europas in der Welt.
Fjodor Lukjanow glaubt in einem Beitrag für das russische Fachmagazin „Rossíja v globál'noj polítike“: Europa kriecht unter die Fittiche Amerikas zurück.


Nun tun sich russische Polit-Analysten traditionell schwer damit, Mentalität, politische Kultur und Politik Europas richtig einzuschätzen. Russische Kommentare zu internationaler Politik gefallen sich oft in einer Art Hyperrealismus, der glaubt, zwischen Staaten gehe es immer nur um die Errichtung oder um die Zerstörung von Imperien. Wirtschaftliche Interessen und die Vorteile kooperativer Politikformen werden in der russischen Fachdiskussion oft unterschätzt. Dieser russische Blick auf Europa blendet daher vieles aus, erkennt aber manchmal eben dadurch große Linien, die der im politischen Tagesgeschäft Europas befangene Betrachter gar nicht mehr wahrnimmt.

Lukjanow jedenfalls meint, dass Europas Versuch, ein eigenständiger Pol in der Weltpolitik zu werden, gescheitert ist. Schuld daran sei nicht nur die Schuldenkrise, sondern genauso der Unwille der Bevölkerung, sich auf das Projekt einer europäischen Verfassung und Staatlichkeit einzulassen, sowie der Unwille der nationalen Eliten, Macht abzutreten.

Die jüngst enthüllten Aktivitäten der US-Geheimdienste gegenüber Europa und die Reaktionen der europäischen Regierungen darauf sieht Lukjanow als Hinweis auf die fortdauernde machtpolitische Bedeutungslosigkeit der Europäer und die hegemoniale Stellung der USA.

Der Beginn der Verhandlungen über eine transatlantische Freihandelszone erscheint aus dieser Sicht als Bankrotterklärung Europas. Das gescheiterte Europa sucht wieder den Rückhalt der USA, um dank amerikanischer Ressourcen seine wirtschaftliche und politische Bedeutung zu wahren – wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Dabei machen sich die Europäer aber Illusionen. Das Freihandelsabkommen würde vor allem den USA nützen und Europas Abstieg noch beschleunigen. Die künftige Verfügbarkeit billiger Energie in den USA wird den schon vorhandenen Wettbewerbsvorsprung der US-Wirtschaft noch vergrößern.


Deprimierend. Vorausgesetzt Lukjanow hat recht. Dass Europa aber keineswegs überall in der Welt schon abgeschrieben ist, zeigt eine Stimme aus China.

Wang Yiwei wirbt in einem Beitrag für Project Syndicate für eine strategische Allianz zwischen China und der EU, für eine Partnerschaft, die sich nicht nur auf den Handel beschränkt. China habe aus verschiedenen Gründen großes Interesse an einer prominenten Rolle der EU in der Welt. Die Europäer seien für China ein wichtiges Gegengewicht zum Einfluss der USA.

Europa ist für Wang eine Zivilmacht. Es verfolgt seine Interessen vorwiegend durch Handel, Entwicklungshilfe, Diplomatie und nicht-militärische Ansätze zur Konfliktreglung. Der hegemoniale Politikansatz der USA dagegen strebt nach Dominanz mit dem Ziel einer Amerikanisierung, einer Angleichung wirtschaftlicher und kultureller Modelle an amerikanische Verhältnisse. Das ist weder im Interesse Chinas noch Europas. Eine strategische Partnerschaft zwischen China und der EU könnte dieser Interessenlage Rechnung tragen.

Leider sind die Europäer bisher nur am Handel interessiert; es gibt in den europäischen Ländern keine Vision für eine weitergehende Kooperation. Man verzettelt sich in fruchtlosen Grundsatzdebatten über Menschenrechte und übersieht die großen Chancen, die in einer pragmatischen Zusammenarbeit liegen. Dass die Europäer gerade eine Identitätskrise durchleiden, macht die Sache für die chinesische Seite nicht leichter. Hinzu kommt, dass die europäischen Länder sicherheitspolitisch von den USA abhängig und daher für amerikanischen Druck empfänglich sind. 



Was könnten wir aus all dem lernen?

Europäer:  
Macht eure Hausaufgaben; entscheidet, was ihr wollt; stellt euch auf die eigenen Füße; und ersetzt ideologisches Schwadronieren durch pragmatisches Handeln. Dann wird’s vielleicht doch noch was im 21. Jahrhundert.



1 Kommentar

Linear

  • carolus  
    "Der hegemoniale Politikansatz der USA dagegen strebt nach Dominanz mit dem Ziel einer Amerikanisierung, einer Angleichung wirtschaftlicher und kultureller Modelle an amerikanische Verhältnisse. Das ist weder im Interesse Chinas noch Europas."

    Korrekte Einschätzung. Aber was genau ist denn im Interesse Chinas? Europa aus dem Bündnis mit den USA herauszulösen und als neuen Spielstein gegen die USA in Stellung zu bringen? Das kann auch nicht im Interesse Europas sein. Wie überhaupt der Herr Wang doch arg kleinredet, dass es zwischen China und Europa noch ein paar andere Konfliktpunkte gibt als "nur" die Menschenrechte. China ist z.B. ja anscheinend bereit, jeden Diktator in Europas Nachbarschaft zu stützen, der nicht bei drei auf dem Baum ist. Sofern er nämlich chinesischen Staatsunternehmen lukrative Aufträge zuschustert oder China zu Vorzugskonditionen mit Rohstoffen beliefert. Das wirkt z.B. europäischen Versuchen zur Stabilisierung der Staatenwelt Afrikas durch wirtschaftliche Entwicklung + Demokratisierung genau entgegen. Andere Stichwörter sind Wirtschaftsspionage, Patentklau und Dumping-Praktiken.

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