Die letzten Wochen und Monate waren turbulent. Die Bundeswehr führt unglücklich Krieg in Afghanistan und lässt sich von den Amerikanern vorführen. Schuldenfinanzierte Wolkenkuckucksheime in Südeuropa drohen einzustürzen; Deutschland tut so, als ginge es das nichts an, und zieht ein Kreuzfeuer an internationaler Kritik auf sich. Der Euro gerät ins Trudeln, sowohl die öffentliche Debatte als auch die Reaktionen an „den Märkten“ nehmen zeitweise hysterische Züge an. Am Ende – am Ende? – stehen finanzielle Rettungspakete und Sicherheitsnetze von schwindelerregenden Dimensionen. Damit scheint die EU auf dem Weg zu einer Transferunion, in der in großem Maßstab Geld von den reichen Mitgliedsstaaten zu den ärmeren umverteilt wird. Eine radikale Neuorientierung, die, noch vor Kurzem undenkbar, sich nun innerhalb weniger Wochen zu vollziehen scheint. Das Projekt einer europäischen Wirtschaftsregierung steht plötzlich auf der Tagesordnung; die Europäische Zentralbank entwindet sich dem Korsett, das vor allem deutsche Finanzpolitiker ihr 1998 auf den Leib geschneidert hatten.

Und die deutsche Außenpolitik? Wird getrieben. In Afghanistan von den Taliban und den Amerikanern. In Europa von „den Märkten“, von Frankreich, von den Südeuropäern. Und immer von der Angst vor den deutschen Wählern.

Es wäre erstaunlich, wenn unter diesen Umständen etwas Gescheites herumkäme.

Tut es auch nicht. In Afghanistan wussten wir noch nie, was wir wirklich wollen. Für Euro-ropa hatten wir da schon mehr Konzepte (Währungsstabilität bei fiskalischer Selbstverantwortung der Nationen), die scheinen aber gerade auf den Altpapierhaufen der Geschichte zu wandern. Jetzt zeichnet sich etwas ab, was uns bislang als Alptraumszenario galt: eine Art EU-weiter Länderfinanzausgleich auf deutsche Kosten (und niederländische, österreichische...)

Der deutschen Außenpolitik fehlt nicht erst in diesen Monaten ein Wille zur Gestaltung, eine Bereitschaft auch zur Führung.

Die Eurozone braucht offensichtlich eine neue Ordnung. Eine Balance zwischen institutionalisierter europäischer Solidarität und nationaler Haftung für national verantwortete Fehler. Wo sind mehrheitsfähige deutsche Vorschläge, die deutsches Interesse und europäische Stabilität in Einklang bringen? Frankreich hat die Krise genutzt, um sein Projekt einer europäischen Wirtschaftsregierung voranzubringen. Wo ist die deutsche Initiative, die einem Eurodirigismus à la française eine attraktive Alternative entgegensetzt? Es ist ja nicht so, dass es da nicht potenzielle Verbündete gäbe.

Auch auf manch anderen zentralen Feldern der internationalen Politik sucht man Unternehmungsgeist aus Deutschland vergebens. Wo sind z.B. tragfähige deutsche Konzepte oder wenigstens ernstgemeinte Diskussionsbeiträge zum Ausbau einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik?

Wer soll denn aber bei dergleichen Themen die Initiative in Europa übernehmen, wenn schon die größte Macht der EU desinteressiert in die Luft – oder auf den eigenen Nabel -  schaut?

Vielleicht liegt ein Teil des Problems darin begründet, dass wir in Deutschland dazu neigen, institutionellen Strukturen zu große Bedeutung beizumessen – wir sind institutionen- und bürokratiegläubig. Der Vertrag von Lissabon, so glauben offensichtlich viele in der politischen Klasse, werde quasi von ganz allein dazu führen, dass die EU handlungsfähiger und im deutschen Interesse effektiver wird. Das reformierte institutionelle Räderwerk der Union soll quasi von selbst und nach den Gesetzen der politischen Mechanik den Problemstau in Deutschlands außenpolitischem Umfeld auflösen. Und so überlässt man der EU-Kommission oder den diversen europäischen „Prozessen“ gerne die Initiative.

Diese Einstellung ist naiv und gefährlich. Auch die Lissabon-Strukturen sind an sich gleichgültig gegenüber Inhalten, wie im Übrigen auch die Strukturen von NATO oder UNO. Politische Werte und Ziele werden nach wie vor von außen nach Maßgabe von Interessen ins politische Geschehen hineingetragen. Und wer seine Ideen nicht offensiv einbringt, wird damit leben müssen, dass nur die Ideen der Anderen verwirklicht werden.

Daher braucht die deutsche Außenpolitik mehr Mut zur Kreativität und mehr Mut zur Führung.

 

3 Kommentare

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  • carolus  
    Sie legen den Finger in die Wunde. Wer soll denn in der deutschen Außenpolitik führen? Eine Kanzlerin, der das Abschneiden ihrer Partei bei den Wahlen in Hinterobertupfingen wichtiger ist als das Schicksal Europas? Ein Außenminister, dessen einzige außenpolitische Vision der Abzug der letzten US-Atomwaffen aus Deutschland ist (holla, das hat uns aber wirklich unter den Nägeln gebrannt...)?? Deutschland hat zur Zeit doch gar keine Außenpolitiker!
  • michel  
    Warum soll deutsche Außenpolitik in der Welt "führen"?? Wenn wir uns überall raushalten, fahren wir am besten. Immer wenn Deutschland jemanden führen wollte, lag es anschließend in Trümmern. Also was soll das Alles?
    • carolus  
      "Warum soll deutsche Außenpolitik in der Welt "führen"?? Wenn wir uns überall raushalten"

      ...führen uns die anderen. Die Finanzmärkte, die Amerikaner, die EU-Bürokratie...

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