Wir stehen an der Schwelle zum pazifischen Zeitalter. China und die USA sind die Protagonisten der neuen Ära. Ihr Zusammenwirken wird den weiteren Ablauf der Globalisierung bestimmen. Europa wird dabei mehr oder weniger auf die Rolle des nachvollziehenden Beobachters beschränkt bleiben. So weiß es der publizistische Volksmund; vor allem in den angelsächsischen Ländern, aber manchenorts auch in Deutschland ist diese Einschätzung ein Gemeinplatz.

Was aber, wenn China und Europa mit Blick auf die Gestaltung der Globalisierung mehr Werte miteinander teilen als jede dieser Weltregionen mit den USA? Diese These vertritt David Gosset in einem Beitrag für die Asia Times...

Ich paraphrasiere und spitze ergänzend zu:

Die typische amerikanische Sicht der globalisierten Welt ist die Vorstellung des „globalen Dorfs“: Die wachsende technische und wirtschaftliche wechselseitige Abhängigkeit der Menschen führt zu einer allmählichen Verschmelzung der Kulturen – politisch, kulturell, intellektuell. In einer derart zusammenwachsenden und sich vereinheitlichenden Welt setzen die USA als moralische und wirtschaftliche Avantgarde die Standards, denen sich der Rest der Welt allmählich anpasst.

Gedanklich wird dabei offenbar die nationale US-amerikanische Geschichtserfahrung auf die Weltebene projiziert. So wie die Einwanderer im amerikanischen Schmelztiegel unter Orientierung an den Werten der amerikanischen Gründerväter eine einheitliche Kultur herausbildeten, so werden jetzt die Menschen weltweit zu einer einheitlichen Kultur verschmelzen, ebenfalls unter Orientierung an ur-amerikanischen Werten.

Das aber ist nach Gosset „Fiction“ und „Fantasy“. Globalisierung sei vielmehr „ a paradoxical process where connectivity does not entail the fusion of cultures but, to a certain extent, underlines what differentiates them.“

Es kann daher nicht darum gehen, auf das Entstehen einer Einheitskultur zu warten oder hinzuwirken, denn eine solche wird nicht kommen. Vielmehr besteht die Herausforderung darin, die existierende kulturelle Vielstimmigkeit und die gegenläufige Tendenz zur globalen Standardisierung auszubalancieren.

Und hier kommen Europa und China ins Spiel. Beide diese Kulturräume haben nämlich nach Gosset kulturelle Mechanismen entwickelt, die eben dies leisten und ein Nebeneinander von regionaler Kultur und überregionaler Orientierung ermöglichen.

Chinesen und Europäer sahen sich in ihrer jeweiligen Geschichte beide vor die Herausforderung gestellt, eine Vielfalt starker und selbstbewusster regionaler Kulturen in einen größeren Zusammenhang zu integrieren.

In Europa entwickelte sich daher ein Konzept des Kosmopolitismus, das es Angehörigen verschiedener regionaler („nationaler“) Kulturen ermöglichte, auf einer gemeinsamen Wertebasis miteinander zu verkehren, ohne die Verwurzelung in der eigenen Regionalkultur in Frage stellen zu müssen. Im Ergebnis entstand ein Gebilde wie die Europäische Union, das gemeinsames Handeln ermöglicht, gleichzeitig aber die fortdauernde Bedeutung der Regionalkulturen ausdrücklich betont.

Auch die chinesische Tradition strebt nach der Integration der vielfältigen Partikularkulturen, ohne diese zu zerstören. Die chinesische Reichsidee zielte darauf ab, die Welt – „Alles-unter-dem-Himmel“ – politisch zu überkuppeln, um unter dem Dach des Reiches einen harmonischen Ausgleich der Gegensätze zu ermöglichen. Harmonie bedeutet dabei aber nicht Vereinheitlichung, sondern Gleichgewicht und produktive Wechselwirkung.

Das Gespräch, der Austausch, die Suche nach dem gemeinsamen Nenner ist für das europäische wie das chinesische Integrationsmodell charakteristisch. Die amerikanische Idee von Globalisierung dagegen ist von der Überlegenheit der eigenen Kultur von vornherein überzeugt und kann sich globale Integration daher nur so vorstellen, dass der Rest der Welt amerikanischem Beispiel folgt. Daher auch sind amerikanische Politiker so von der Vorstellung besessen, Amerika müsse „führen“.

Oder in anderen Worten: Sowohl das europäische wie das chinesische Verständnis von Globalisierung ist im innersten Kern multipolar; das amerikanische ist unipolar.

Wenn es künftig politisch um die Ausgestaltung der Globalisierung geht, könnten sich die Europäer fallweise in einer ungewohnten Allianz mit China wiederfinden.

---

So weit, so gut, so interessant.  Nun muss man natürlich einwenden, dass das Moment der Unipolarität weder in der europäischen noch in der chinesischen Geschichte fehlt. Die gewaltigen Kolonialreiche der Europäer entstanden nicht als Ergebnis von „compromise and negotiation“, und auch die Erben des Gelben Kaisers waren in der Regel keine Pazifisten.

Gosset würde hier vermutlich entgegnen, dass Europa und China aber eben nicht hier stehen blieben. Gerade die imperial verfassten europäischen Nationalkulturen stießen seit dem 16. Jahrhundert immer wieder kriegerisch zusammen, ohne dass eine Nation eine dauerhafte Hegemonie über alle anderen erringen konnte. Auf überregionaler Ebene konnte sich in Europa eine unipolare Ordnung niemals durchsetzen, und eben deswegen mussten andere Mechanismen des interregionalen Umgangs entwickelt werden.

Das chinesische Reich seinerseits war ein Vielvölkerstaat, innerhalb dessen Machtverhältnisse zwischen Volks- und Bevölkerungsgruppen immer wieder sorgsam austariert werden mussten. An dieser Notwendigkeit kam auch ein ehrgeiziger Herrscher nicht vorbei. Chinas Geschichte ist voll von Bürgerkriegen, Aufständen, Rebellionen und Revolten. So musste auch China ein politisches Instrumentarium entwickeln, das über hegemoniale Diktate und Strafexpeditionen hinausging.

Was lernen wir nun daraus? Müssen wir wirklich auf eine europäisch-chinesische Allianz bei der politischen Gestaltung der Globalisierung rechnen? Es gibt ja durchaus auch Werte, bei denen Europa und China sehr uneins sind.

Nun, zumindest wird deutlich, dass eine exklusive chinesisch-amerikanische Führungsgemeinschaft, etwa im Rahmen einer „G2“,  kein Selbstläufer sein wird. Dazu ist dieser Tage auch ein interessanter Beitrag von Chris Patten auf European Voice zu lesen. Des Weiteren sehen wir, dass es für die europäische Außenpolitik bei der politischen Gestaltung der Globalisierung  durchaus Alternativen zur ständig beschworenen transatlantischen Kooperation geben könnte.

Vorausgesetzt es gibt eine europäische Außenpolitik.

 

 

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.

Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
BBCode-Formatierung erlaubt