Stephan Kamins, Carsten Kühlmorgen, Andreas Beljo, Helmi Jimenez-Paradis, Jörg Baasch, Armin Franz, Christian Schlotterhose, Andreas Heine, Matthias Standfuß, Michael Diebel, Michael Neumann, Patrick Behlke, Roman Schmidt, Mischa Meier, Patric Sauer, Oleg Meiling, Martin Brunn, Alexander Schleiernick, Sergej Motz, Florian Pauli, Jörn Radloff, Marius Josef Dubnicki, Josef Otto Kronawitter, Thomas Clemens Broer, Nils Bruns, Robert Hartert, Martin Kadir Augustyniak, Alexej Kobelew, Thomas Tholi, Tobias Lagenstein, Markus Matthes, Georg Missulia, Konstantin Menz, Georg Kurat, Daniel Wirth 

Dies sind die Namen der deutschen Soldaten, die in Afghanistan gefallen sind. 

Beinahe zwanzig Jahre dauerte der militärische Einsatz, der in diesen Tagen zu Ende gegangen ist. Er begann im Dezember 2001. In den ersten Jahren beteiligten sich deutsche Spezialkräfte sporadisch an US-geführten Einsätzen gegen Al-Kaida und deren afghanische Verbündete; gleichzeitig übernahmen deutsche Truppen Stabilisierungsaufgaben und versuchten sich als eine Art bewaffneter Entwicklungshelfer zu profilieren. Ab etwa 2008 entwickelte sich in Nordafghanistan, wo die Deutschen mittlerweile die militärische Verantwortung übernommen hatten, ein offener Krieg gegen die islamistischen Taliban, die man zurückdrängen und in Schach halten, nicht aber dauerhaft besiegen konnte. Seit 2014 beschränkte sich die Bundeswehr in ihrer Einsatzregion dann nur noch auf die Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Streitkräfte – denen es trotzdem nicht gelungen ist, sich gegen die Islamisten durchzusetzen. Jetzt sind die Deutschen abgezogen – nicht weil der Krieg gewonnen wäre, sondern weil die USA den Einsatz beenden, der große Verbündete in diesem Konflikt, ohne den wir niemals nach Afghanistan gegangen wären, und ohne den wir dort militärisch nichts ausrichten können, wenn wir nicht die gesamte Bundeswehr an den Hindukusch schicken wollen.

Der Krieg in Afghanistan hat 59 deutsche Soldaten das Leben gekostet, von denen 35 durch Feindeinwirkung, 24 bei Unfällen oder infolge anderer Ursachen starben.

War es das wert?

Falsche und richtige Fragen
 

"Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe."
 
Das ist der Diensteid der Bundeswehr. Die Pflicht zur Tapferkeit, die wir hier als die Bereitschaft das eigene Leben zu riskieren übersetzen wollen, bezieht sich auf die Verteidigung von Recht und Freiheit des deutschen Volkes. Die Frage nach dem Sinn des Einsatzes lautet daher nicht: „Geht es Afghanistan heute besser als 2001?“ Denn was immer der Einsatz diesem fernen Land gebracht haben mag, es hätte niemals rechtfertigen können, dass Soldaten, die auf die Verteidigung des eigenen Landes vereidigt sind, befohlen wurde ihr Leben zu riskieren. Die richtige Frage lautet vielmehr: „Sind das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes heute sicherer als 2001?“
 
 

Deutschlands Sicherheit und Afghanistan
 

Um dies zu beurteilen, müssen wir zurück an den Anfang. Der US-Angriff auf Afghanistan war die Reaktion auf den dreitausendfachen Mord bei den Terrorangriffen auf New York und Washington am 9. September 2001, die von Afghanistan aus konzipiert und orchestriert worden waren. Die NATO, über die Deutschland mit den USA verbündet ist, rief den Bündnisfall aus und unterstützte die USA politisch und militärisch bei der Reaktion auf diese Aggression. Deutschlands Sicherheit war durch die Terroranschläge nicht unmittelbar gefährdet. Zwar waren auch Deutsche unter den Mordopfern, und Politiker wie Leitartikler waren schnell bei der Hand, die Ereignisse zu einem Angriff auf die Freiheit schlechthin zu stilisieren; tatsächlich aber hatten die Terroristen der Kaida doch vor allem die USA und deren Politik auf der Arabischen Halbinsel im Visier. 
 
Die Bedrohung für Deutschland war eher indirekt. Zum einen waren die Ereignisse dazu angetan, Regime, die sich in der existierenden internationalen Rechtsordnung nicht gut aufgehoben fühlten (um es vorsichtig zu formulieren), dazu zu ermuntern, Terrorismus künftig noch ungenierter in ihren politischen Werkzeugkasten aufzunehmen. Deutschland hatte Erfahrungen mit libyschem Staatsterrorismus und musste durchaus ein Interesse daran haben, dass unberechenbare Regierungen davon abgeschreckt wurden, Terroristen zu fördern: Wer Terroristen unterstützt, wird selbst zum Ziel. Zum anderen waren die USA die Zentralmacht der NATO; die NATO aber war Deutschlands ultimative Sicherheitsgarantie bei der Stabilisierung Europas, das mit den Balkankriegen wieder zu einer gefährlichen Region geworden war. Das Nordatlantische Bündnis tat gut daran, den USA, die mit einem pivot to Asia liebäugelten, seine Nützlichkeit zu beweisen, und Deutschland war bereit, einige tausend Soldaten nach Mittelasien zu schicken, wenn die USA in der Folge auch künftig die Sicherheit Europas garantierten: Wir gehen mit euch nach Afghanistan, damit ihr uns weiterhin beschützt. 
 
Terroristenfreunde abschrecken und die Amerikaner als Sicherheitsgaranten in Europa halten: Das waren durchaus gute Gründe, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schicken. Das Kalkül dürfte aufgegangen sein. Das terrorfördernde Taliban-Regime wurde innerhalb weniger Wochen beseitigt und dient seither potenziellen Nachahmern als abschreckendes Exempel. Die NATO profilierte sich in Washington als nützliches Reservoir von europäischen Verbündeten, die genauso an der Sicherheit der USA interessiert sind, wie diese an der Sicherheit Europas.
 
Vielleicht war das das Opfer der deutschen Soldaten wert. 
 
 

Falsche Ziele und das Elend der Entscheidungsschwäche
 

Aber – und jetzt kommt ein großes „Aber“: All das war schon nach wenigen Monaten, höchstens einigen Jahren erreicht! Dem Regime die zuvor mühsam in einem afghanischen Bürgerkrieg erkämpfte Macht rauben, die Kaida-Truppen im Land auseinanderjagen, den Zusammenhalt der NATO demonstrieren und dann wieder abziehen – das hätte man weiß Gott schneller haben können. Der Krieg der USA und der NATO in Afghanistan hat 15 Jahre zu lang gedauert. Verleitet durch falsche Schlussfolgerungen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Amerikaner in Afghanistan nation building betreiben und ein prosperierendes demokratisches Land schaffen. Ohne Erfolg. Wir stehen hier aber nicht an, amerikanische Konzepte zu kritisieren. Die Verantwortung der deutschen Politik liegt ganz woanders.
 
Fast alle deutschen Opfer dieses Krieges starben, nachdem die Kernziele längst erreicht waren. Wäre Deutschland nach drei Jahren aus Afghanistan abgezogen, würden die meisten dieser Männer noch leben. Wie kommt es, dass die deutsche Politik nicht in der Lage war, den Einsatz rechtzeitig zu beenden? Deutsche Politiker verweisen gerne auf die NATO-Vereinbarungen, die einen Abzug der Bundeswehr in Eigenregie nicht möglich erscheinen ließen („in together, out together“). Aber das ist Augenwischerei. Zum einen hat Frankreich 2012 seine Kampftruppen sehr wohl zurückgezogen; zum anderen hat die deutsche Außenpolitik nie nachdrücklich versucht, Einfluss auf die gemeinsame NATO-Strategie zu nehmen. Und das wiederum hängt damit zusammen, dass Deutschland völlig planlos in den Afghanistankrieg hineingeschlittert ist. Aber Schritt für Schritt:
 
  • Der Einsatz war im Kern richtig, aber man hat den rechtzeitigen Ausstieg verpasst.
     
  • Man hat ihn verpasst, weil man keine eigenen Erfolgs- und Ausstiegskriterien hatte, sondern sich bei der politischen und militärischen Gestaltung des Einsatzes ganz auf USA und NATO verlassen hat.
     
  • Man hatte keine eigenen Ausstiegskriterien, weil man blind in diesen Einsatz gestolpert ist und auch nachträglich keine Strategie mehr entwickelt hat, die ohne politisches Wunschdenken ausgekommen wäre.
     
  • Man hatte keine eigene Strategie, weil man die militärische Logik des Konflikts nie richtig ernst genommen hat. Es hat geschlagene neun Jahre gedauert, bis deutsche Politiker sich überhaupt eingestanden haben, in einen Krieg verwickelt zu sein! 
     
  • Man hat die militärische Logik nie ernst genommen und begriffen, weil es ein unausgesprochenes, borniertes Axiom bundesdeutscher Außenpolitik gibt, nach dem Militär nichts Positives bewirken kann. Deswegen glauben viele in Deutschland, man brauche sich mit militärischen Fragen überhaupt nicht zu beschäftigen, und überlassen das irgendwelchen Militär-Nerds in Washington.
     
  • Dieses Axiom existiert, weil viele Deutsche aus den beiden Weltkriegen falsche Schlüsse gezogen haben. Dabei waren es Soldaten, die die Nazis besiegt haben, und nicht Parteitagsbeschlüsse, NGOs oder Sozialkundelehrer.
 
Anders gesagt: Eine aus historischen Traumata resultierende kollektive militärische Inkompetenz der deutschen politischen Klasse führte dazu, dass wir militärische Risiken in Afghanistan von Anfang an nie wirklich begriffen haben. Deshalb haben wir nie eine realistische, ernst gemeinte Strategie für diesen Krieg entwickelt. Und daher wiederum haben wir den Moment verpasst, als wir hätten abziehen müssen.
 
Noch kürzer: Wir haben nie begriffen, dass dieser Einsatz schieflaufen kann, wenn wir ihn nicht so ernsthaft behandeln, wie man einen richtigen Krieg behandeln muss. Und deshalb hatten wir keine Exit-Strategie.
 
Diese Erkenntnisse kommen für den Afghanistankrieg zu spät. Mit Blick auf die Opfer und mit Blick auch auf die möglichen Opfer eines künftigen Krieges müssen wir aus den Fehlern lernen. 
 
 

Krieg verstehen: Vorher denken
 

Wer Kriege führen, Kriege beenden oder Kriege verhindern will, muss Kriege verstehen. Krieg ist schrecklich, aber um gute politische Entscheidungen treffen zu können, muss man viel mehr über Krieg wissen als nur das. Politiker müssen verstehen, wie militärische, politische und wirtschaftliche Mittel zusammenwirken; was Krieg erreichen kann, und was nicht; wie man im Krieg etwas erreicht, und wie nicht.

Um es konkret zu machen: Immer wenn Politiker vor der Entscheidung stehen, ob sie Militär einsetzen sollen oder nicht, müssen sie zuvor auf fünf Fragen hinreichende Antworten finden:
 
  1. Welches konkrete politische Ziel wollen wir mit dem Einsatz erreichen? 
  2. Welche konkreten militärischen Ziele müssen wir erreichen, um dieses politische Ziel zu erreichen?
  3. Welche militärischen Mittel müssen wir einsetzen, um diese militärischen Ziele zu erreichen?
  4. Wie beenden wir den Krieg, wenn das politische Ziel erreicht ist?
  5. Wie beenden wir den Krieg, wenn sich zeigt, dass das politische Ziel nicht erreicht werden kann? 
 
Diese Fragen müssen deutsche Politiker selbst beantworten – man darf sie nicht an Verbündete delegieren. Denn die die Verantwortung tragen für das, was deutsche Soldaten erleiden und was sie anderen an Leid zufügen – sie sitzen nicht in Brüssel oder Washington, sie sitzen in Berlin. 
 
Und jetzt die Preisfrage. Wer kann die fünf Fragen für den Bundeswehreinsatz in Mali beantworten?
 
 
Zur Ergänzung: Szenarien für den Abzug aus Afghanistan, aufgestellt 2010, im Kern immer noch gültig
Afghanistan - Deutscher Abzug unter welchen Voraussetzungen?
 
 

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.

Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
BBCode-Formatierung erlaubt