Afghanistankonferenz: Ab 2014 also sollen die Afghanen für Ihre Sicherheit selbst verantwortlich sein. Ob die ausländischen Truppen dann tatsächlich abziehen, ist damit nicht gesagt.

Gehen wir doch noch einmal systematisch an die Sache ran. Unter welchen Voraussetzungen wäre ein Abzug aus Afghanistan deutschen Interessen nicht abträglich?

In einem früheren Beitrag habe ich seinerzeit versucht, Gründe aufzulisten und zu bewerten, die für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sprechen.  Vor einem Abzug sollten diese Argumente gegenstandslos geworden sein, wenn der Abzug deutschen Interessen nicht schaden soll. Also schauen wir mal.

Vier gute Gründe sprechen prinzipiell für den Einsatz: Bekämpfung einer politischen Macht, die islamistischen Terrorismus aktiv unterstützt; Verhinderung einer weiteren Destabilisierung der Nuklearmacht Pakistan; Erhalt einer funktionsfähigen NATO; Wahrung eines Rests an Einfluss auf Kriegspläne der USA.

Demnach sollten folgende Bedingungen für einen deutschen Abzug erfüllt sein:

  1. Es scheint unwahrscheinlich, dass gegen westliche Staaten operierende islamistische Terroristen in absehbarer Zeit noch einmal in Afghanistan ungestört eine große Basis aufschlagen können.
  2. Es scheint wahrscheinlich, dass andere Regimes in absehbarer Zeit davor zurückschrecken, ihr Land ihrerseits solchen islamistischen Terroristen als Basis zur Verfügung zu stellen.
  3. Es scheint wahrscheinlich, dass die Nuklearmacht Pakistan in absehbarer Zeit durch die Lage in Afghanistan nicht weiter destabilisiert wird. Es gibt westliche Maßnahmen, die in diese Richtung zu wirken geeignet sind.
  4. Der Abzug erfolgt in Koordination mit der NATO. Die NATO hat einen gemeinsamen Rückzugsplan aufgestellt, und Deutschland agiert in dessen Rahmen, wobei Deutschland als eines der letzten Länder abzieht.
  5. Der NATO-Abzug erfolgt in gesichtswahrender Form. Die NATO lässt eine zumindest dem Anschein nach starke Statthalter-Regierung zurück, die in jedem Fall ein paar Jahre die Stellung halten kann, und der im ungünstigsten Falle ein Scheitern des Befriedungsprojekts in die Schuhe geschoben werden kann.
  6. Es scheint wahrscheinlich, dass die USA in absehbarer Zeit keine weitere Lust haben, den Antiterrorkampf weiter in Gestalt großangelegter militärischer Invasionen oder aber in Gestalt massivster Distanzschläge zu führen. Zumindest nicht innerhalb von Deutschlands Sicherheitszone.
  7. Auch nach dem Abbruch der militärischen Mission in Afghanistan wird eine enge Zusammenarbeit mit den USA in der Terrorbekämpfung beibehalten, auf vor allem geheimdienstlichem und polizeilichem Weg. 


Kann man Szenarien entwickeln, unter denen diese Voraussetzungen erfüllt sind?

Szenario 1 – Das Friede-Freude-Eierkuchen-Szenario

Die militärische Aktivität der Taliban hört auf, die prowestliche Regierung sitzt fest im Sattel, hinsichtlich der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung ist mehr als ein Silberstreif am Horizont zu sehen.

Nun ja, für Wundergläubige…

 

Szenario 2 – Das Hart-am-Wind-Szenario

  • Die afghanische Regierung wird so weit gestärkt, dass sie sich auf absehbare Zeit halten kann. Armee und Polizei sind hinreichend leistungsfähig, militante Oppositionskräfte in Schach zu halten. Die Regierung unternimmt realistische Ansätze zur nationalen Versöhnung: Sie versucht, gemäßigte Taliban und andere Oppositionskräfte zu integrieren und die Vetternwirtschaft von Stämmen, Clans, politischen Seilschaften einzudämmen oder zumindest so zu organisieren, dass jeder einmal an die Fresströge kommt. Die Regierung bemüht sich um eine Kooperation mit Pakistan. Die Regierung agiert demonstrativ unabhängig von den westlichen Protektoren.
  • Diese Regierungsführung wird als Vorbedingung für weitere westliche Unterstützung dargestellt. Die westlichen Länder sind auch weiterhin bereit, Afghanistan und die Regierung zu unterstützen. Die Regierung kann sich als Garantin für den Zufluss von Wirtschaftsmitteln präsentieren.
  • Die NATO hat einen in seinen Details gut begründeten und der Öffentlichkeit gut vermittelten Abzugsplan, in dem Deutschland eine prominente und verantwortungsvolle Rolle spielt.
  • Die deutsche Regierung ist bereit, sich politisch, wirtschaftlich und geheimdienstlich ernsthafter und nachhaltiger als bisher im Nahen Osten und der Region westlich des Indischen Ozeans zu engagieren. Sie kommuniziert diese Bereitschaft – und die Begründung – effektiv der deutschen Öffentlichkeit, den EU-Partnern, den USA und den Ländern der Region. Sie drängt auf ein gemeinsames Vorgehen im EU-Rahmen, ist aber auch bereit, selbst die Initiative zu übernehmen. Dieses verstärkte Engagement will darauf hinwirken, sicherheitspolitische Schwarze Löcher wie Afghanistan oder Somalia zu beseitigen oder ihr Entstehen zu verhindern. Denn sonst wird der übernächste Verteidigungsminister Deutschlands Sicherheit vielleicht am Oberlauf des Nil verteidigen wollen.

 

Szenario 2 b – Das Und-wenn-es-trotzdem-schiefgeht?-Szenario

Alles geschieht so wie in Szenario 2 beschrieben, trotzdem aber kommen einige Zeit nach dem Abzug wieder islamistische Kräfte an die Macht.
In diesem Fall bemüht sich Deutschland mit seinen Verbündeten um eine starke geheimdienstliche Präsenz in der Region. Deutschland und seine Verbündeten verschaffen sich die Möglichkeit, glaubhaft mit der Unterstützung einer bewaffneten afghanischen Opposition und mit der Unterstützung pakistanischer Aktionen in Afghanistan drohen zu können – für den Fall, dass die islamistische Regierung wieder antiwestlichen Terroristen das Haus bereitet.


Die wirtschaftliche und allgemein kulturelle Entwicklung Afghanistans, also all das, worum sich beim sogenannten zivilen Aufbau alles dreht, spielt in diesen beiden letzten Szenarien kaum eine Rolle. Entwicklungserfolge schlagen nur langfristig auf die politische Lage durch; der Abzug soll aber schon mittelfristig erfolgen.

Haben die Szenarios 2 und 2 b eine Chance? So schlecht sieht es tatsächlich nicht aus. Der Ausbau der afghanischen Sicherheitskräfte geht voran, die Regierung hat sich das Thema der nationalen Versöhnung groß auf die Fahnen geschrieben und es gibt sogar eine politische Annäherung an Pakistan. Das Fälschen von Wahlen sollte man vielleicht künftig unterlassen…
 

    

2 Kommentare

Linear

  • michel  
    Ausstiegsszenarien braucht man nicht, wenn man vor dem Einstieg sein Hirn anwirft. Wie konnte die damalige Bundesregierung nur so naiv sein, sich auf dieses Abenteuer einzulassen? Die waren alle besoffen von ihrer Wichtigkeit, nach dem Motto "Boa, jetzt sind wir mit den Amis auf Augenhöhe". Hundert Jahre nach der Kolonialzeit endlich mal wieder Weltmacht spielen.

    "Denn sonst wird der übernächste Verteidigungsminister Deutschlands Sicherheit vielleicht am Oberlauf des Nil verteidigen wollen"

    Jawoll, genau darauf warten wir!
    • p.schurz  
      "Ausstiegsszenarien braucht man nicht, wenn man vor dem Einstieg sein Hirn anwirft."

      Was wir vor allem nicht brauchen, ist nachträgliche Besserwisserei! Es gab 2002 einige gute Gründe, die USA nicht alleine nach AFG gehen zu lassen. Aber selbst wenn es die nicht gegeben hätte, wäre das heute völlig egal.
      Heute muss der Westen sehen, wie er ohne Schaden - und mit Nutzen - aus der Sache rauskommt. Das Ursprungsziel - Vernichtung der Alkaida-Basis in Afghanistan - ist ja längst erfüllt. Potenzielle Nachahmerregime sind abgeschreckt. Wenn es jetzt noch gelingt, sich ohne weiteren Schaden aus diesem Land zu lösen, wird der Afghanistankrieg in 15 Jahren in den Geschichtsbüchern als Erfolgsgeschichte behandelt werden. Deutschland war dabei, und das war gut so.

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