Thorsten Kleinschmidt, 18. Juli 2018

Was für eine Aufregung! Was für ein Geflatter! Was für ein Geschnatter! Da kommt ein auf Krawall gebürsteter amerikanischer Präsident zum NATO-Gipfel, stellt die Lebenslügen der deutschen Sicherheitspolitik bloß und siehe, es ist ein Getümmel in Deutschlands Politik und Öffentlichkeit wie im Gänsestall, wenn der Fuchs kommt. Da fliegen die Federn, dass es nur so eine Art hat!

Der Amerikaner will wirklich, dass wir viel mehr Geld in die Bundeswehr stecken; er sagt es nicht nur –  das haben noch alle amerikanischen Präsidenten getan, die sagten viel, wenn der Tag lang war –  nein, der hier meint es auch so !

Der Amerikaner beschimpft uns als schlechte Verbündete, weil wir unser Interesse an preiswertem russischem Gas über die Sicherheitsinteressen unserer östlichen Nachbarn stellen – halt, nein, das hat er nicht gesagt, die Osteuropäer sind ihm so schnuppe wie wir. Aber gierig seien wir; unser Festhalten an der Ostseepipeline zeige: Wenn die Deutschen sich zwischen fairer Lastenverteilung und einem guten Geschäft entscheiden müssen, dann wählen sie immer das Geld.

Der Amerikaner klassifiziert die Europäische Union – und damit meint er vor allem uns – als „foe‟, als Gegner oder gar Feind. Dabei haben wir Deutschen doch per definitionem keine Feinde, und die USA sind doch per similem definitionem „unser wichtigster Verbündeter‟ und so „unverzichtbar für unsere Sicherheit‟.

Und dann droht er auch noch unverhohlen. Wenn wir weiter wie bisher unser Ding machten, dann würden die USA künftig eben auch ihr eigenes Ding machen. Drohen! Mit den Konsequenzen unserer eigenen Politik! Uns! Was erlauben Trump!

Um nicht missverstanden zu werden: Donald Trump hat so viel Ahnung von Außen- und Sicherheitspolitik wie der Fuchs vom Eierlegen. Er nutzt seine Präsidentschaft dazu, sein narzisstisches Ego ins Historische zu vergrößern und träumt davon, die Welt vor den Vereinigten Staaten von Amerika – und das heißt vor ihm selbst – im Staub kriechen zu sehen. Er ist aus diesem Grund wirklich ein Gegner Deutschlands –  wie überhaupt aller Länder, von denen er argwöhnt, sie könnten ihm die fälligen Huldigungen vorenthalten.

Aber sein Elefantentanz im Porzellanladen ist geeignet, uns von jahrzehntealten Ladenhütern zu befreien, von sentimentalen Erinnerungen und kitschigen Fehlwahrnehmungen, von peinlicher Selbstüberhöhung und fauler Selbstzufriedenheit. Es sind Vorstellungen und Maximen wie Preziosen aus Porzellan – reizend anzusehen, aber brüchig bei Kontakt mit der Wirklichkeit:

 

Die Lebenslügen deutscher Sicherheitspolitik

 

„Deutschland ist eine Zivilmacht.‟
Nein. Als Zivilmacht müsste Deutschland in der Lage sein, gestützt auf seine Einbettung in multilaterale, zwischen- und überstaatliche Strukturen, die Foulspieler der internationalen Politik dazu zu nötigen, sich wieder an die Regeln zu halten. Aber die Trumps und Putins dieser Welt machen, was sie wollen, und Deutschland findet kein Mittel dagegen. Denn Deutschland fehlt etwas Entscheidendes: die militärische Macht. Die braucht auch eine Zivilmacht – nicht um Kriege anzuzetteln, sondern um Erpressungen zu verhindern. Wäre die Bundeswehr auch nur annähernd so stark wie die russische Armee (und das wäre durchaus erreichbar), hätte niemand im Osten der EU mehr Angst vor Putin und die Trump'sche Schutzgelderpressung - „gebt mir bessere Handelskonditionen, dann beschütze ich euch vielleicht vor den Russen‟ - liefe ins Leere. Aber der Plüschtierpazifismus der deutschen Linken und der Fiskalfetischismus der Christdemokraten haben die deutschen Streitkräfte ruiniert. Und so bleibt es dabei: Deutschland ist zivil, aber keine Macht. Und das ist schlecht.

„Deutschland wird seiner gewachsenen Verantwortung gerecht.‟
Seit ein paar Jahren wird dieser Satz von jedem deutschen Außenpolitiker bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten mantra-artig wiederholt. Es ist eine Lüge, der man allenfalls zugute halten kann, dass die Deutschen sie selbst glauben. Deutschland ist das wirtschaftlich stärkste und politisch einflussreichste Land Europas, auf das alle anderen Länder des Kontinents schauen. Wenn Deutschland in krisenhaften Situationen nicht die Führung übernimmt, dann tut es keiner in Europa. Krisen gibt es nun ringsum genug – wo aber ist Deutschland? Die längst fällige EU-Reform wird seit Jahren von der deutschen Politik verbummelt. Im Konflikt mit Russland kommen aus Berlin seit langem nur noch Sprechblasen, während man sich gleichzeitig bei der militärischen Absicherung Europas wie gewohnt hinter den USA versteckt und eben dadurch den USA viel mehr Einfluss einräumt, als Europa gut tut. Krieg in Syrien, Chaos in Libyen? Unsere deutsche Flüchtlingskrise hat dort ihren Ursprung; die deutsche Politik aber verlässt sich darauf, dass Russen und Amerikaner, Iraner und Israelis, Italiener und Malteser die Sache schon in unserem Sinne regeln werden. Deutschland nimmt nicht seine Verantwortung wahr, sondern jede Gelegenheit, sich in die Büsche zu schlagen.

„Deutschland ist seinen Partnern ein verlässlicher Verbündeter.‟
Das wäre schön; aber kein Land kann sich wirklich darauf verlassen, dass die Bundeswehr ihm im schlimmsten Falle zu Hilfe käme. Wahrscheinlich wären die deutschen Streitkräfte nicht fähig, vielleicht wäre die deutsche Politik nicht willig. Deshalb wird auch nichts aus einer gemeinsamen europäischen Verteidigung. Es ist nämlich zweifelhaft, ob Deutschland irgendjemanden und  irgendetwas in Europa zu verteidigen bereit und in der Lage wäre – außer den Interessen der deutschen Wirtschaft. Die Gaspipeline aus Russland wird deshalb kommen, auch wenn viele Verbündete sie ablehnen. Ob Deutschlands Partner ihrerseits immer verlässliche Verbündete sind, ist eine andere Frage. Das ist aber keine Entschuldigung für die lahme Halbherzigkeit, mit der Deutschland in Fragen der Reform von EU und NATO unterwegs ist. Wirklich verlassen kann man sich bei Deutschland nur auf die Wiederkehr der immer gleichen Sonntagsreden von „Solidarität‟ und „Verantwortung‟.

„Die USA sind unser wichtigster Verbündeter und unverzichtbar für unsere Sicherheit.‟
Dieser alte Witz hat soo einen Bart… Ach, das ist gar kein Witz? Die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist wirklich auf den Schutz durch die USA angewiesen, weil sie es nicht schafft, Mächte in Schach zu halten, die nur über einen Bruchteil der deutschen Ressourcen verfügen? Seltsam nur, dass Staaten wie, sagen wir,  Indonesien, Indien, Südafrika, Argentinien oder Marokko für ihre Sicherheit nicht auf die USA angewiesen zu sein scheinen. Ach, das ist, weil diese Staaten nicht von russischen Atomwaffen bedroht werden? Werden wir denn von russischen Atomwaffen bedroht? Falls das so ist, so sollte eine der führenden Technologienationen der Welt, die zudem eng mit zwei europäischen Nuklearmächten verbündet ist und deren Bruttoinlandsprodukt doppelt so groß ist wie das russische, doch in der Lage sein, auf diese Bedrohung mit einer politisch-militärischen Strategie zu antworten. Man müsste es halt wollen. Die Selbstverzwergung nimmt in Deutschland zuweilen bizarre Formen an.

„Deutschland ist nur von Freunden umgeben und hat keine Konflikte mit anderen Staaten.‟
Ja, ja: Alle lieben uns, und was im deutschen Interesse ist, ist im Interesse aller. Unsinn. Wie eh und je steckt Deutschland auch heute mitten drin in jener brutalen Rangelei, die man als internationale Politik bezeichnet. Es gibt keine objektiv besten Konzepte für die Gestaltung der Weltpolitik, sondern überall sind Interessen am Werk. Und die unterscheiden sich teilweise gewaltig. Dank Donald Trump haben wir die Chance, endlich zu begreifen, dass die real wirksamen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika sich deutlich von den unsrigen unterscheiden. Wladimir Putin, Jarosław Kaczyński und Recep Tayyip Erdoğan verdanken wir ähnliche Lernprozesse. Konkurrenten zu haben, ist an sich nicht schlimm, man muss nur mit Augenmaß seine Ellenbogen zu gebrauchen wissen.

„Die europäische Integration ist im Interesse der ganzen Welt.‟
Mitnichten.  Wenn es den Europäern gelänge, in der EU effektiv ihre Kräfte zu bündeln, wären sie ganz von selbst eine der großen, bestimmenden Mächte des Planeten. Das kann denen nicht gefallen, die sich selbst in die Rolle des Weltenlenkers hineinträumen: den Trumps, den Putins, den  Erdoğans, den Xis. Deshalb gilt: Je weiter wir in Europa mit der Integration unserer Kräfte und Ressourcen vorankommen, desto heftiger wird das Störfeuer sein, mit dem uns unsere Konkurrenten – denn das sind sie! - überziehen.  Unsere europäische Selbstertüchtigung – die Transformation der EU in eine effektive, machtvolle Konföderation – wird gegen den Widerstand der USA und Russlands vollzogen werden müssen. Auf den Gipfeltreffen amerikanischer und russischer Präsidenten wird Politik gegen Europa gemacht werden. Wir sollten uns zeitig daran gewöhnen.

„Deutschland ist sicher.‟
Wie man's nimmt. Deutschland ist so sicher wie Frankreich, das Probleme mit einheimischem Terrorismus hat. Deutschland ist so sicher wie der Iran, der von Großmachtkonkurrenten umgeben ist, die auf einen regime change lauern. Deutschland ist so sicher wie China, das als Wirtschaftsmacht und potenzielle Vormacht seiner Weltregion von fernen Großmächten und nahen Mittelmächten angefeindet wird. Deutschland ist nicht sicherer als andere Länder, und deshalb muss Deutschland sich wie andere Länder um seine Sicherheit sorgen. Auf keinen Fall dürfen wir die Gewährleistung unserer Sicherheit an Staaten delegieren, die an unserer Sicherheit kein Interesse haben.


So. Der Elefant ist mittlerweile weitergezogen. Wenn wir die Scherben im Porzellanladen zusammengekehrt haben, sollten wir vor den Spiegel treten und uns zehnmal ins Gesicht sagen: „Wir brauchen die USA nicht mehr, als wir andere Staaten brauchen; wir brauchen ...‟

Was wir brauchen, ist eine völlig eigenständige deutsche und europäische Sicherheitspolitik. Vergesst die USA, sonst wird das nichts.

 

Thorsten Kleinschmidt, 18. Juli 2018

 

 

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