Was machen eigentlich … die deutsch-russischen Beziehungen?

Thorsten Kleinschmidt, 9. Dezember 2017
 

„The winter of our discontent...“

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, und wir wollen endlich noch einmal über Russland sprechen. Lange genug haben wir uns mit  Martin Luther, Angela Merkel und Donald Trump beschäftigt. Das Luther-Jahr ist vorbei, irgendwann wird Deutschland eine neue Regierung haben, und Trump hebt die Welt nicht aus den Angeln. Aber es ist kalt in Europa – und das liegt nicht zuletzt am Winter in den Beziehungen zwischen Deutschen und Russen.

Russland also. Haben Sie ein paar Minuten Zeit?

Der russische Bär ist der Problem-Bär der deutschen Außenpolitik – die einen wollen ihn füttern und träumen davon, auf ihm zu reiten; die anderen wollen ihn vergrämen und ins Reservat zurücktreiben. Aber weder taugt Russland zu romantischen Träumereien noch lässt es sich hinter einen Gitterzaun verbannen. Russland ist unbequeme Wirklichkeit.

Das Land wird regiert von einer politischen Klasse, die Angst vor Teilen des eigenen Volkes  hat; deren Wertekanon an den Kernideen Stärke, Macht und Dominanz ausgerichtet ist; und die keinen Plan hat, wenn es um die künftige strategische Ausrichtung des Landes geht. Russlands politische Eliten wollen ihre Macht im Inneren behaupten, wollen nach außen eine Großmacht sein, und sind ansonsten mächtig ratlos.

Um diese strategische Ratlosigkeit zu überspielen und gleichzeitig der Regierung Legitimität im Inneren zu verschaffen, betreibt Russland eine patriotisch verbrämte militaristische Außenpolitik, die versucht, Machtpositionen um ihrer selbst willen zu besetzen – in der Ukraine, in Syrien, in Libyen und in Afghanistan, von Georgien oder Moldau ganz zu schweigen. Frei nach dem Motto: Was den Anderen schadet, nützt uns – und vielleicht ergibt sich ja irgendwann irgendwas.

 

Warten auf Tauwetter in den deutsch-russischen Beziehungen
Winter in den deutsch-russischen Beziehungen - Warten auf Tauwetter


Russen und Deutsche – eine Beziehung voller Illusionen und Enttäuschungen

Die Beziehung der Deutschen zu Russland war immer recht emotional. Von romantischer Verklärung zu hysterischer Dämonisierung  und wieder zurück waren die Wege selten weit. Russischerseits war das Verhältnis weniger überspannt, nichtsdestotrotz oft alles andere als rational. Mal waren die Deutschen bewunderte Vorbilder, mal lächerliche Schulmeister; mal kleine Bundesgenossen gegen den Westen, mal schicksalhafte Bedrohung der slawischen Welt.

Nach dem Ende des Kalten Krieges herrschte allerorten Enthusiasmus vor – Politiker, Geschäftsleute, Wissenschaftler, Studenten reisten von hüben nach drüben und bereiteten eine große gemeinsame Zukunft vor. Dann kam die Zeit der Enttäuschungen. Russland verwandelte sich nicht über Nacht in eine wohlhabende westliche Weltmacht. Deutschland setzte nicht seine nationalen Interessen und die guten Beziehungen zu seinen Nachbarn aufs Spiel, um Russland  eine Special Relationship anzubieten.

Und schließlich ließ Russland die Deutschen gegen die Wand laufen. 2008 hatte Deutschland den NATO-Beitritt Georgiens und der Ukraine blockiert, um russischen Sicherheitsbedenken entgegen zu kommen. Russland zuliebe hatte man sich weit aus dem Fenster gelehnt und sich gegenüber den verbündeten Amerikanern und Europäern für Russlands friedliche Absichten verbürgt. Noch im selben Jahr 2008 führte Russland Krieg gegen Georgien, und 2014 annektierte Russland mit Waffengewalt die ukrainische Krim. Danke auch. Mit Russlands Glaubwürdigkeit erledigte sich auch die deutsch-russische Partnerschaft.

Und jetzt? Die grandiosen Pläne für eine gemeinsame deutsch-russische Zukunft – das Gemeinsame Europäische Haus, die Modernisierungspartnerschaft, die Einbindung Russlands in den Westen, die wirtschaftliche Erschließung des „Eurasischen Raumes“ - das alles ist Makulatur. Zu unterschiedlich sind die Interessen von Deutschen und Russen, zumindest ihrer jeweiligen politischen Klassen.

 

Die nationalen Interessen Deutschlands und Russlands passen nicht zusammen

Deutschland in seiner zentralen geographischen Position wird von allen europäischen Krisen in Mitleidenschaft gezogen, ist gleichzeitig aber zu schwach, um Europa alleine zu befrieden. Das haben zuletzt zwei Weltkriege gezeigt, die Deutschland als Staat nur mit Mühe und Not überlebt hat. Die Deutschen wollen daher ihre europäische Umwelt auf Dauer stabilisieren, indem sie den Kontinent mit integrativen Strukturen überziehen. Die EU ist das Kernelement dieses Stützkorsetts, dann folgt die NATO, schließlich kommen die Partnerschaften dieser Organisationen mit europäischen Drittstaaten, wie etwa der Ukraine oder der Türkei.

Die Russen nehmen genau diese integrativen Strukturen als Bedrohung war, denn in vergangenen Zeiten haben solche, nun, nennen wir sie integrierten europäischen Machtkomplexe zweimal Russland angegriffen und beinahe als eigenständige Macht vernichtet. Die beiden Vaterländischen Kriege 1812 und 1941 waren traumatische Erfahrungen. Von diesem Sicherheitstrauma abgesehen sieht man sich in Russland als eigenständige Weltmacht und ist nicht bereit, sich selbst ernsthaft auf einen Souveränitätsverzicht in alleuropäischen Strukturen einzulassen. Eine NATO-Mitgliedschaft hätte man sich in Moskau vielleicht vorstellen können, aber dem standen die Interessen anderer europäischer Länder entgegen, die ihre ganz eigenen traumatischen Erfahrungen mit Russland haben.

Und so steht man sich nun gegenüber: Die Deutschen, die aus Gründen ihrer nationalen Sicherheit den europäischen Großraum in einem auf teilweisem Souveränitätsverzicht beruhenden System politisch integrieren wollen. Und die Russen, die aus Gründen ihrer nationalen Sicherheit eine solche Integration verhindern wollen.

Dieser Interessenskonflikt ist im Kern kaum aufzulösen.

Zwar ist auch Russland in der Vergangenheit dem Projekt der Europäischen Integration durchaus wohlwollend begegnet. Europäische Stabilität ist auch im russischen Interesse – das gilt aber nur, solange die EU entweder schwächer bleibt als Russland oder aber über keinerlei außenpolitischen Ehrgeiz im von Russland als imperiale Einflusszone beanspruchten eurasischen Raum verfügt. Eine effektive EU, die selbstbewusst europäische Interessen in der Welt vertritt, dürfte kaum noch mit russischem Wohlwollen rechnen können.

Auf der anderen Seite hat Deutschland sich in der Vergangenheit oft sehr bemüht, bei seinen Integrationsbemühungen russischen Interessen nicht in die Quere zu kommen. Diese Rücksichtnahme setzt aber voraus, dass Russland seinerseits nicht versucht, Deutschlands Integrationsprojekte zu hintertreiben. Ein imperial agierendes Russland, das sich auf die Fahnen schreibt, die NATO zu spalten und die EU schwach zu halten, wird in Berlin immer als Gegner wahrgenommen werden.

Ändern kann sich all das nur, wenn sich die Mentalitäten ändern. Wenn Russen begännen, sich als Teil des „Westens“ zu fühlen, statt den „Westen“ als Bedrohung zu fetischisieren. Wenn Deutsche akzeptierten, dass sie nicht die ganze Welt „integrieren“ können und dass ein Rest an Unsicherheit bleibt, dem man notfalls mit traditioneller Machtpolitik begegnen muss. Wenn also die Russen „Europäer“ würden, und die Deutschen ihnen mit gelassener Stärke zu begegnen lernten. Beides ist derzeit nicht zu erwarten; das erste dabei weniger als das zweite.


Was tun mit Russland?

Was also tun? Russland bleibt eine Gefahr für Deutschlands nationale Interessen, und je schwächer es ist, desto mehr. Denn Russland ist schwach: Alle Modernisierungsimpulse der letzten zwei Jahrzehnte haben das Land wirtschaftlich gerade mal auf Augenhöhe mit Lateinamerika gebracht. Die Wirtschaft des flächengrößten Landes der Erde ist in etwa so groß wie die Italiens, bei mehr als doppelter Bevölkerung. Russlands Wohlstand hängt am Öl- und Gaspreis; die massive Aufrüstung geht mit Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitswesen einher. Je mehr die russische Mittelschicht wirtschaftlich unter Druck gerät, desto größer könnte die Versuchung für die herrschenden Kreise werden, durch weitere außenpolitische Abenteuer von ihrem wirtschaftspolitischen Versagen abzulenken. Sozusagen Böller statt Brot.

Wir hier in Deutschland können indes in Russland weder einen Regime- noch einen Mentalitätswechsel herbeiführen. Der Wandel zum Besseren muss aus der russischen Gesellschaft angestoßen werden, auf deren kulturelle Tiefenstrukturen wir herzlich wenig Einfluss haben. Was uns bleibt, ist kühle Interessenpolitik:

  • Wir müssen Russland so akzeptieren, wie es derzeit ist. Wir sollten es nicht dämonisieren, aber wir dürfen es uns auch nicht schönreden. Wir haben es mit einem Staat zu tun, dessen erklärte Interessen und Werte nicht mit unseren eigenen in Einklang zu bringen sind, und der bereit ist, zur Durchsetzung dieser seiner Interessen drastische Machtmittel einzusetzen.
     
  • Wir müssen versuchen, eine Eskalation der Konflikte, die sich derzeit nicht vernünftig regeln lassen, zu verhindern. Dazu bedarf es einer Mischung aus demonstrativer Festigkeit und ebenso demonstrativer Unaggressivität. Wir müssen deutlich zeigen, dass wir den Zusammenhalt unserer Bündnisse und die Sicherheit derjenigen unserer Verbündeten, die ins Visier revanchistischer russischer Großmachtphantasten geraten sind, mit allen Mitteln verteidigen werden. Dabei sollten wir uns aber auf europäische Ressourcen stützen, da die Präsenz der USA in Osteuropa an sich schon krisenverschärfend wirkt.
     
  • Eine Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen durch Aufhebung der Sanktionen würde uns derzeit mehr schaden als nutzen. Unsere östlichen Nachbarn, die sich von Russland bedroht fühlen, würden gleich wieder eine deutsch-russische Verständigung auf ihre Kosten argwöhnen und sich politisch auf die USA und Großbritannien umorientieren. Damit wäre nicht nur die problematische Präsenz der USA in Osteuropa noch weiter gestärkt; nein, auch die europäische Integrationsordnung, die der Kern unserer Sicherheit ist, würde weiter geschwächt.
     
  • Darüber hinaus bleibt uns kaum mehr, als zu versuchen, persönliche Kontakte zwischen Menschen hüben und drüben wieder stärker zu fördern. Vielleicht können den politischen Auseinandersetzungen dann wenigstens die hysterischen Spitzen genommen werden.
     

Auf allzu viel „Wandel durch Annäherung“ sollten wir aber nicht hoffen. Soviel Annäherung wie nach 1990 hat es in den deutsch-russischen Beziehungen nie zuvor gegeben – allein der Wandel blieb aus. Es ist vielleicht – nein: ganz sicher – auch eine naive Annahme, dass Nähe gleichbedeutend ist mit Frieden und Konfliktfreiheit. Wenn zwei sich einander immer weiter annähern, dann können sie auch irgendwann krachend zusammenstoßen. Vielleicht haben Deutsche und Russen einander in den letzten Jahrzehnten auch schon besser kennengelernt, als ihnen lieb ist.

Halten wir also aus, und warten wir auf bessere Zeiten. Irgendwann wird der Winter unseres Missvergnügens glorreicher Sommer.


Now is the winter of our discontent
Made glorious summer by this sun of York,
And all the clouds that loured upon our house
In the deep bosom of the ocean buried.

Shakespeare, Richard III

 

Gemälde: 
Fjodor Alexandrowitsch Wassiljew: Tauwetter. 1871. (Via Wikimedia Commons)

 

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