Man kann dieser Tage den Eindruck gewinnen, als seien die Menschen- und Bürgerrechte in Europa für die Exekutivorgane zu Kann-Bestimmungen geworden, die man nach Belieben dem „Supergrundrecht“ Sicherheit nachordnen darf. Das laute Schweigen europäischer Geheimdienst- und Polizeibehörden zu den Enthüllungen über die amerikanischen Lauschangriffe auf uns Bürger erstaunt natürlich nicht – entweder sind sie Mittäter, oder sie haben bei der Abwehr fremder Geheimdiensttätigkeit versagt; weder über das eine noch über das andere spricht man gerne. Schlimmer ist das Herumlavieren von Regierungspolitikern, die sich nicht auf die Verteidigung unserer Rechte verpflichten lassen möchten. Natürlich sind sie auch in einer schwierigen Lage. Zum einen haben die europäischen Staaten des öfteren auch von den Daten-Krumen profitiert, die die Amerikaner uns gnädig ausgestreut haben – und würden das auch weiterhin gerne tun. Zum anderen nutzt lautes Protestieren und Lamentieren wenig: Die Amerikaner tun, was sie tun, weil sie die Macht haben, es zu tun, und weil wir nicht die Macht haben, es zu verhindern. In der Sicherheitspolitik gilt seit eh und je das Recht des Stärkeren, und der protestierende Schwache demonstriert nur seine Ohnmacht oder seine Unfähigkeit. Mit anderen Worten: Empörung ist sinnlos, solange man nicht stark genug ist, seine Interessen nicht nur vorzutragen, sondern auch durchzusetzen.

Und so ist diese ganze leidige Affäre vor allem etwas, das die Deutschen und die Europäer unter sich ausmachen müssen. Wir müssen hier für uns einige Dinge klären:

  • Was ist uns wichtiger: eine hohe Sicherheit vor Terroranschlägen oder eine zumindest mittlere Sicherheit unserer persönlichen, wirtschaftlichen, politischen Daten?

  • Wie wertvoll ist uns unsere politische Souveränität? Wollen wir unsere Sicherheitspolitik selbst, nach unseren eigenen Werten, Interessen und Strategien betreiben, oder sind wir damit zufrieden, als abhängige Klienten im Gefolge der USA unterwegs zu sein, selbst wenn die amerikanische Sicherheitspolitik uns nicht nur nützt, sondern auch schadet?

  • Wie hoch ist der Preis, den wir für das Sicherheitsbündnis mit den USA zu zahlen bereit sind? Gibt es einen Punkt, ab dem dieses Bündnis zur Belastung wird?

  • Was sind wir bereit zu leisten, um selbst für unsere Sicherheit sorgen zu können? Derzeit fehlen uns Problembewusstsein und öffentliches Interesse, Strategien, politische Routinen, diplomatische, militärische und geheimdienstliche Ressourcen.


Diese Debatte ist kein Selbstzweck. Am Ende müssen Entscheidungen stehen. Aber der Weg vom politischen Meinen über das politische Denken und das politische Wollen zum politischen Handeln ist vor allem in Deutschland sehr, sehr weit.  

Dabei zeigt uns derzeit der Europäische Gerichtshof, wie so was geht. Der hat gerade entschieden, dass die Listen mit Terrorverdächtigen, die der UN-Sicherheitsrat auf US-Drängen erstellt hat, nicht zum Anlass genommen werden dürfen, in der EU Bürgerrechte einzuschränken. Auf bloßen, unbewiesenen Verdacht hin darf in Europa oder von europäischen Institutionen niemand bestraft oder seiner Rechte beraubt werden, nicht einmal dann, wenn amerikanische Behörden und der UN-Sicherheitsrat ihn als Terroristen bezeichnen. Erstaunlich, dass wir da nicht selbst drauf gekommen sind.

(Pressemitteilung des EuGH (Pdf)  und eine Analyse von Maximilian Steinbeis auf seinem Verfassungsblog)





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