Sarajewo 1992Wenn Blicke töten könnten, wäre der syrische Bürgerkrieg längst beendet. Schließlich schaut die ganze Welt bei dem Gemetzel zu, per Fernsehen oder Internet. Bramarbasierende Generäle, über den Leichen ihrer Opfer feixende Soldaten, bärtige Gottesfreunde beim Ermorden ihrer Gefangenen – das strafende Auge der Menschheit hätte sie längst gerichtet.

Wenn Worte Frieden schaffen könnten, wüchsen auf Syriens Schlachtfeldern längst wieder die Olivenbäume. Schließlich redet die halbe Welt seit mehr als zwei Jahren unentwegt auf die Kämpfer ein, predigt ihnen Mäßigung und Vernunft. Einsicht in das Widersinnige eines totalen Krieges gegen Nachbarn, mit denen man anschließend wieder einen Staat bauen will, hätte sich längst breit gemacht.

Aber so ist es nicht. Zuschauen ist keine Lösung. Reden ist keine Lösung. Nicht, solange es nicht die Feinde selbst sind, die der Realität ins Auge schauen und miteinander reden. Was sie nicht wollen.

Wie bringt man sie dazu? Nicht durch Zuschauen, nicht durch Zureden, sondern durch Druck.

Wie soll der ausgeübt werden? Und auf wen genau?

Wirtschaftssanktionen? Wann hätten die je einen Krieg beendet? Wer glaubt, für das Überleben seiner Familie zu kämpfen – und so weit ist es längst – der hat andere Probleme als die Lieferbarkeit von iPhones, auch andere Sorgen als die Sicherheit seines Arbeitsplatzes oder selbst die Verfügbarkeit ausländischer Medikamente. Zumal das normale Wirtschaftsleben in Kriegszeiten ohnehin zum Erliegen kommt.

Waffenembargos? Sind ein Witz, wenn die unmittelbaren Nachbarstaaten im Krieg mitmischen. Wer töten will, braucht ohnehin keine ausländischen Waffen: In Ruanda wurden 1994 Hunderttausende Menschen mit Knüppeln und Macheten abgeschlachtet.

Militärisches Eingreifen? Auf wessen Seite genau? Anders formuliert: Wie kann man sicherstellen, dass es den Guten hilft, denen, die vor allem Opfer und nicht Täter sind, wenn man Assads Flugzeuge und Geschütze bombardiert? Und nicht denen, die sich für Gottesfreunde halten und die Menschenfeinde sind? Oder denen, die für Geld das blutige Geschäft ausländischer Potentaten betreiben? Genau: Man kann es gar nicht sicherstellen.

Kann man die Kriegsparteien von ihrer ausländischen Unterstützung abschneiden?  Iran und die libanesische Hisbollah auf der einen, Saudi-Arabien und Katar auf der anderen Seite befeuern den Krieg von außen – mit Geld, mit Waffen, mit Kämpfern. Andere Staaten, auch westliche, auch Russland, würden auf diesem Feuer auch gerne ihre Suppe kochen. Wer könnte all diese Mächte zurückjagen? Niemand.

Dies klingt alles hoffnungslos und ist es auch –  fast. Die Düsternis, in der Syrien versinkt, erinnert uns an einen anderen Krieg mit kaum überschaubaren Frontlinien und Interessen; einen Krieg, in dem Krieger nach Art von Landsknechtsbanden des Dreißigjährigen Kriegs durch die Lande strichen und Angst und Schrecken verbreiteten; einen Krieg mit Greueltaten aller Art und Zehntausenden, vielleicht Hunderttausenden von Toten; einen Krieg, dem die Welt lange hilflos zusah. Einen europäischen Krieg: den Bosnienkrieg 1992-1995.

Allerdings: Der Bosnienkrieg endete nach drei Jahren, nein: Er wurde beendet – von außen. Wie ist das damals gelungen?

Maßnahme 1
Man hat sich unter den Kriegsparteien eine ausgeguckt, die in ihren Zielen und ihren Methoden einigermaßen gemäßigt erschien; die gleichzeitig einen hohen Organisationsgrad und eine große Anhängerschaft besaß. Diese Partei hat man gezielt aufgerüstet und ausgebildet, ohne ihr dabei aber Zugriff auf Hochtechnologiewaffen zu geben. Dadurch konnte die Partei eine zahlenmäßig überlegene Streitmacht ins Feld stellen.
Die USA setzten nach langem Zögern auf die kroatische Regierung und verschafften dieser die Möglichkeit, ihre Streitkräfte in kürzester Zeit mit relativ modernen Waffen auszustatten – trotz eines Waffenembargos. Kroatische Offiziere wurden von den USA im Schnelldurchgang ausgebildet; auch Aufklärungsergebnisse wurden vermutlich an die Kroaten weitergeleitet.


Maßnahme 2

Zusätzlich verschaffte man der ausgewählten Kriegspartei auch eine militärtechnologische Überlegenheit, indem man ihre Operationen durch westliche Luftangriffe unterstützte.
Die NATO-Luftoperationen über Bosnien dienten offiziell dem Schutz der UN-Schutzzonen in Bosnien. De facto unterstützten sie aber auch die kroatischen Offensiven.

Maßnahme 3
Durch eine massive Militärpräsenz in der Region schreckte man andere Mächte davon ab, sich weiter in den Krieg einzumischen.
Die serbisch kontrollierte jugoslawische Armee versuchte nicht mehr ernsthaft, die Armee der bosnischen Serben zu unterstützen, als deren Niederlage absehbar wurde. Auch Russland leistete der bosnisch-serbischen Kriegspartei keine wesentliche Hilfe.

Maßnahme 4
Durch beharrliche politische Vermittlung und gleichzeitigen politischen Druck stiftete man ein Bündnis zwischen der ausgewählten Kriegspartei und wichtigen anderen Parteien. Die militärische Aufrüstung des bevorzugten Partners machte diesen als Verbündeten für andere interessant; gleichzeitig konnte dieser Partner durch das Versprechen weiterer westlicher Unterstützung zu Wohlverhalten gegenüber anderen Kriegsparteien gedrängt werden.
Amerikanische Vermittlung führte zunächst zum Ausgleich zwischen bosnischen Muslimen und bosnischen Kroaten, dann zu einem Bündnis beider mit dem Staat Kroatien.

Begleitmaßnahme
In UN-Schutzzonen versuchte man Kriegsflüchtlinge und ansässige Zivilisten vor Kampfhandlungen und Gewaltexzessen zu schützen. Das gelang aber nur schlecht, da man keine Vorsorge dafür getroffen hatte, diese Schutzzonen wirksam zu verteidigen.

Ergebnis
Die aufgerüstete Partei ging mit zahlenmäßiger Überlegenheit zum Angriff über, unterstützt von westlicher Luftmacht und lokalen Verbündeten. Nach einigen Monaten hatte der Gegner so viel von seiner militärischen Stärke und so viel Territorium verloren, dass er zu Verhandlungen unter internationaler Vermittlung bereit war. Beigetragen zu dieser Verhandlungsbereitschaft hatte die Erkenntnis, dass von auswärtigen Mächten keine echte Unterstützung  zu erwarten war. Die aufgerüstete Partei wurde nach dem Krieg zum Hauptkooperationspartner von Amerikanern und Westeuropäern in der Region, mit Aussicht auf NATO- und EU-Mitgliedschaft, was sie dazu motivierte, dauerhaft eine maßvolle Politik zu verfolgen.
Nach mehreren kroatischen Offensiven, die von NATO-Luftangriffen unterstützt wurden, waren die serbischen Separatisten in Kroatien völlig geschlagen; die bosnischen Serben verloren so viel Gelände, dass sie schließlich zu Verhandlungen bereit waren. Der Staat Bosnien-Herzegowina blieb erhalten und wurde auf Zeit ein westliches Protektorat. Kroatien ist heute Mitglied der EU und der NATO.

Wäre dies ein Modell für Syrien?

Es gibt auch Unterschiede zur Situation auf dem Balkan in den Neunzigerjahren. Vor allem den, dass das Regime Assad international nicht so isoliert ist, wie es die bosnischen Serben und Restjugoslawien damals waren. Der Iran und die libanesische Hisbollah sind seit langem daran gewöhnt, ihre Politik unter ständigen militärischen Drohungen aus den USA oder aus Israel zu betreiben, und daher schwerer aus dem Krieg herauszudrängen als seinerzeit Serbiens Diktator Slobodan Milošević. Wichtig wäre daher eine möglichst breite internationale Koalition, deren Zusammensetzung Iranern und Libanesen signalisieren könnte, dass es keinen Sinn mehr hat, auf die Karte Assad zu setzen, und dass sie mehr Einfluss auf die Zukunft Syriens haben, wenn sie sich dieser internationalen Gemeinschaft anschließen. Der Versuch, eine solche Koalition zu bilden, ist auf dem G-20-Gipfel erst einmal wieder am wechselseitigen Misstrauen der Großmächte gescheitert.

Ohne breite internationale Unterstützung und gegen den aktiven Widerstand des Irans und der Hisbollah aber dürfte es sehr schwierig sein, den Krieg nach dem bosnischen Modell  zu beenden. Denn solange  Assad nach Belieben auf die Ressourcen seiner ausländischen Verbündeten zurückgreifen kann, ist der Versuch, einen innersyrischen Rüstungswettlauf gegen das Regime zu starten und zu gewinnen, kein sehr aussichtsreiches Unterfangen. Wir brauchen die große internationale Koalition – hier läge  die Aufgabe für die deutsche Außenpolitik, die  ja bisher in der Syrienkrise nicht gerade vor Tatkraft strotzt.

Was sonst noch bleibt, ist nur das ebenfalls aus Bosnien bekannte Konzept der UN-Schutzzone für Zivilisten. Das ist in Srebrenica und andernorts damals katastrophal gescheitert. Wir mussten lernen: Damit eine Schutzzone tatsächlich schützen kann, braucht es viele gut ausgerüstete, kampfbereite Soldaten – und Politiker, die bereit sind, sie kämpfen zu lassen. Vielleicht müssen wir tatsächlich unsere Fantasie darauf verwenden, diese aus der höchsten Not geborene Idee eines Reservats für Zivilisten wirklichkeitstauglich zu machen. Wenn wir schon sonst nichts zustande bringen.

Zuschauen hilft ja nicht. Reden hilft ja nicht.


Foto: Sarajewo 1992

Von Michail Jewstafiew [CC-BY-SA-2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.

Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
BBCode-Formatierung erlaubt