Einwanderer verlassen das Schiff.Im letzten Stück haben wir uns die Gründe angeschaut, die gegen die massenhafte Aufnahme von Flüchtlingen angeführt werden. Nun müssen wir den Aufnahmebefürwortern auf den Zahn fühlen.

Warum also sollten wir Hunderttausende von Flüchtlingen ins Land lassen? Wir hören:


1. „Unsere Werte gebieten uns, keine Flüchtlinge abzuweisen. Wer in Not ist, soll Hilfe bekommen. Das ergibt sich sowohl aus den Grundsätzen des Christentums als auch aus denen des säkularen abendländischen Humanismus. Punktum.“

Absolut richtig. Man kann nicht gleichzeitig Christ und gegen Flüchtlinge sein. Wer's nicht glaubt, möge im Evangelium noch einmal nachlesen. Und wer nicht an die Bibel glaubt, erinnere sich an Goethe: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Edle Menschen demonstrieren nicht gegen Mitmenschen in Not. Punktum.
Allerdings sagen das Evangelium und Goethe nichts über Wirtschaftsmigranten. Wenn Menschen aus wirtschaftlichen Gründen einwandern wollen, dann ist das sicher aller Ehren wert; trotzdem haben die Einheimischen hier ein Wort mitzureden oder zwei.


2. „Deutschlands Gesellschaft altert stark und bedarf über kurz oder lang dringend der Einwanderung, um ein wohlhabendes Land zu bleiben. Rationalisierung und Technisierung werden unsere Probleme nicht lösen; schließlich wollen wir uns im Alter nicht von Robotern pflegen lassen. Wir brauchen also Menschen, viele Menschen; und siehe, da kommen sie!“

Ach ja, wenn das so einfach wäre... Natürlich brauchen wir Zuwanderer, aber vor allem qualifizierte. Und am besten solche, die aufgrund einer gewissen kulturellen Nähe leicht zu integrieren sind. Das trifft leider nur auf einen Teil der Flüchtlinge zu. Ungesteuerte Masseneinwanderung löst wenige Probleme und schafft viele. Wir brauchen keine Völkerwanderung, sondern ein Einwanderungsgesetz. Desungeachtet können wir uns über die Popularität Deutschlands als Flucht- und Einwanderungsland freuen.


3. „Wenn Deutschland zu einem echten Einwanderungsland wie etwa Kanada wird, sind alle Befürchtungen hinsichtlich der Zukunft Deutschlands hinfällig. Statt eines vergreisenden, unbeweglichen Landes, das nach und nach wirtschaftlich und politisch von jüngeren Ländern abgehängt wird, sehen wir künftig eine energiegeladene Nation, in der die kulturelle Tradition der Einheimischen und der Ehrgeiz der Zugewanderten eine dynamische Mischung ergeben. Deutschland ist auf einmal wieder zukunftsfähig!“

Ja, das ist in der Tat eine faszinierende Perspektive. Ein echtes Einwanderungsland zeichnet sich aber nicht dadurch aus, dass alle und jeder kommen dürfen – ein echtes Einwanderungsland kontrolliert die Einwanderung und wählt seine Einwanderer aus.


4. „Es ist schlicht nicht möglich, die Flüchtlinge daran zu hindern, nach Deutschland zu kommen. Wer auf der Flucht vor Krieg und Elend ist, wird sich weder durch Grenzkontrollen noch durch Zäune aufhalten lassen. Und wir wollen die Alpen oder den Bayerischen Wald ja wohl nicht verminen! Da wir die Menschen also nicht aufhalten können, sollten wir versuchen, das beste aus der Situation zu machen.“

Nun ja, Zäune könnten Flüchtlinge vielleicht nicht aufhalten, aber den Zuwandererstrom doch kanalisieren. Trotzdem sollten wir uns gut überlegen, ob wir uns wirklich ringsum einzäunen wollen. Stacheldraht auf dem Zugspitzmassiv? Betonmauern im Nationalpark Bayerischer Wald? Mit Wachttürmen? Na, danke! Das wäre mit Blick auf die Weltmeinung auch ein nationaler PR-GAU.


5. „Deutschland ist rechtlich verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen und anständig zu behandeln. Schließlich haben wir die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben.“

Stimmt. Und was Recht ist, soll Recht bleiben. Allerdings gilt die Flüchtlingskonvention nicht für Wirtschaftsflüchtlinge, was manchmal vergessen wird.


6. „Die Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge und der herzliche Empfang haben Deutschlands Ansehen im Ausland auf nie gekannte Höhen steigen lassen. Wir sind heute aus Sicht der Welt das, was die Amerikaner in den Vierzigerjahren des letzten Jahrhundert waren: Die Verkörperung des Guten schlechthin. Nie waren wir so angesehen wie heute. Wir werden fast überall bewundert, und diejenigen, die uns kritisieren, haben oft nur ein schlechtes Gewissen. Dieser moralische Kredit kann uns auch in der internationalen Politik sehr nützlich sein: Man wird uns vertrauen und endlich glauben, dass wir nichts Böses im Schilde führen, wenn wir versuchen, die EU zu reformieren oder den Frieden in Osteuropa zu sichern.“

Das Ansehen, das uns unsere Flüchtlingspolitik in den letzten Monaten erworben hat, ist tatsächlich erstaunlich. Gerade in der linken und liberalen Öffentlichkeit vieler europäischer Länder wird Deutschland immer wieder als leuchtendes Vorbild dargestellt. Vermutlich werden die Ereignisse dieser Wochen und Monate nachhaltig das Bild prägen, das man im Ausland von Deutschland hat. Und ein guter Leumund ist ein kostbarer Schatz. Um einen solchen zu behalten, müssen wir aber mit der Gefahr fremdenfeindlicher Gewalt fertig werden.  


7. „Die massive Einwanderung aus anderen Weltgegenden wird Deutschland kulturell bereichern, und kulturelle Vielfalt  ist die Vorbedingung für Kreativität. Wir werden ein interessanteres Land und lernen, öfter über unseren Tellerrand hinauszuschauen.“

Na ja. Deutschland war ja auch bisher schon keine kulturelle Monokultur. Ob der zusätzliche Vielfaltsgewinn durch Masseneinwanderung die zu befürchtenden Stabilitätsverluste aus Sicht des einzelnen Bürgers wettmachen kann, ist doch zweifelhaft. Und für den, der Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, war Deutschland auch in den letzten Jahrzehnten schon immer einer der interessanteren Orte auf diesem Planeten.  





So. Jetzt haben wir die wichtigsten Pro- und Contra-Argumente der Debatte durchgeschaut.  Wie man sieht, stehen auf beiden Seiten ziemlich starke Argumente unvermittelt neben ziemlich schwachen.  Es wäre schon viel gewonnen, wenn Flüchtlingsgegner und Flüchtlingsfreunde sich darauf beschränken könnten, nur die wirklich stichhaltigen Gründe für ihre Positionen auszutauschen. Vieles was so in die mediale Öffentlichkeit geblasen wird,  ist nur heiße Luft, die die Debatte so lange anheizt, bis die ersten Kombattanten einen Hitzeschaden davontragen und zum Messer greifen.
Luftige Hirngespinste sind vor allem die hysterischen Horrorphantasien vom Untergang Deutschlands und die zuckrigen Tagträumereien vom Ende aller Not im multikulturellen Paradies.

Nein, Deutschland wird nicht untergehen. Nein, das Abendland auch nicht.
Nein, diese Zuwanderer werden nicht die Probleme unserer alternden Gesellschaft lösen. Nein, sie werden Deutschland auch nicht zu einem irgendwie besseren Land machen.


Und jetzt könnten wir die Deutschlandfahnen wegpacken und ernsthaft besprechen, wie wir in den nächsten Monaten weitermachen wollen. In Europa, in Deutschland, in unserem Bundesland und in unserer Stadt.
 

Thorsten Kleinschmidt, 20. Oktober 2015
 

 

Bild: Einwanderer kommen an Land. E. E. Morris (Hg.): Cassell's picturesque Australia. Melbourne 1888. Bd.3. S.222.
 

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