Das Böse ist wieder da: schwarz, grausam und unbesiegbar; finstere Dämonen, einem Alptraum entsprungen. Oder ist es die Schar der Gerechten des ewigen Gottes, die sich in mittelalterlich anmutender Vermummung unter wehenden, mit Koranversen beschriebenen Fahnen auf die Ungläubigen und Unwürdigen stürzen wie einst die Reiter aus der arabischen Wüste auf die Kreuzfahrer?
Beide Assoziationen passen auf die Kämpfer der dschihadistischen Gruppe „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ (ISIS), und beide Assoziationen sind vermutlich beabsichtigt. Jedenfalls zielt der Kampf von ISIS auch auf die hearts and minds von Freund und Feind. Die systematische Internet-Propaganda der Gruppe, ihre Selbstdarstellung in Bild und Ton ist vielleicht beeindruckender als die eigentlich militärischen Erfolge. Die nämlich sind möglicherweise gar nicht so groß – in Syrien gab es zuletzt auch Rückschläge. Zumindest wären sie nicht so groß ohne das Unterstützungsfeuer Furcht und Schrecken verbreitender Propaganda.
Die Selbstinszenierung der Truppe als Wiedergänger puritanischer Glaubenskrieger aus dem Mittelalter ist dazu angetan, uns von der Frage abzulenken, wessen Spiel hier eigentlich gespielt wird. Denn es sind nicht die Geister der Vergangenheit, sondern die Mächte der Gegenwart, die diesen Dämonen Leben einhauchen.
Daniel Gerlach hat auf Zenith Online einmal untersucht, wer eigentlich so alles daran interessiert sein könnte, dass die Kämpfer von ISIS das tun, was sie tun. Das Ergebnis ist erstaunlich: Fast alle Mächte der Region könnten in der ein oder anderen Form von ISIS profitieren.
Das Assad-Regime hofft, dass ISIS die syrische Opposition spaltet und die Aufmerksamkeit kriegerischer Islamisten auf den Irak ablenkt. Auch würde man sich der Welt gerne als anti-islamistisches Bollwerk präsentieren.
Die konservativen Monarchien am Persischen Golf – Saudi-Arabien, Kuweit, Katar – sehen im radikal-sunnitischen ISIS ein nützliches Werkzeug gegen den schiitischen Einfluss in der Region, vor allem gegen die Politik des Iran.
Aber auch der Iran selbst profitiert von ISIS: Bis neulich noch als Schurkenstaat verpönt, wird Teheran plötzlich als Verbündeter für die USA interessant. Gleichzeitig spaltet ISIS die Front gegen Irans Verbündeten Assad.
Der höchst umstrittene irakische schiitische Präsident Maliki hat auf einmal die Chance, unter Verweis auf die gemeinsame Bedrohung die irakischen Schiiten wieder hinter sich zu versammeln.
Und schließlich die Türkei: ISIS hält die syrischen und irakischen Kurden in Schach und schwächt damit die gesamte kurdische Autonomiebewegung.
Viele sehen also durchaus mit Wohlwollen auf die schwarzen Krieger mit ihren flatternden Fahnen und versuchen, sie im eigenen Sinne zu beeinflussen: als nützliche Idioten. Das heißt aber nicht, dass sie sie tatsächlich kontrollieren können. Die verschiedenen Einflüsse könnten einander neutralisieren; die Eigengesetzlichkeiten der gesellschaftlichen und kulturellen Basis von ISIS könnten sich gegenüber auswärtigen Einflüssen als stärker erweisen.
Anders gesagt: Die nützlichen Idioten könnten sich als Geister entpuppen: als die Geister, die man rief und nicht mehr los wird. Die Idioten wird man dann andernorts suchen dürfen - in Damaskus, Ankara, Bagdad, Riad oder Teheran zum Beispiel.
Bild: Kampfszene aus den Kreuzzügen. Französische Malerei des 14. Jahrhunderts (Wikimedia Commons)
Noch keine Kommentare