Aus einem Streit ums Geld wird zusehends ein Streit ums Ganze.
Griechenland will Geld von der EU, und die EU schaut auf Deutschland. Deutschland meint, in letzter Zeit schon genug Geld für unsichere Projekte ausgegeben zu haben, verweist auf geltende Verträge und ist sehr entrüstet über die Anmutung. Politiker und Kommentatoren aus allen Enden Europas entdecken ein „neues Deutschland“, das egoistisch seine Interessen auf Kosten der schwächeren Nachbarn durchsetzt, euroskeptisch und isolationistisch ist. Oder aber selbstbewusst, unsentimental und nicht bereit, sich länger ausnehmen zu lassen. In Deutschland wiederum verlangen prominente Stimmen mit wilhelminischer Intonation, Griechenland aus der Eurozone rauszuwerfen. Manchmal hört man auch den Vorschlag, Deutschland solle seinerseits den Euro aufgeben und zur D-Mark zurückkehren – Tagträumereien aus Krähwinkel.
Und da ist sie wieder, die Frage nach Deutschlands Platz in Europa. Was wollen wir in der Europäischen Union und was erwarten wir vom europäischen Einigungsprozess? Die Fragen sind keinesfalls rhetorisch.
Von den Antworten hängt ab, wie wir uns in der Griechenlandkrise verhalten sollten.
Wollen wir vor allem in Ruhe gelassen werden? Ungestört an unserer nationalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Selbstverwirklichung werkeln? Die EU nur ab und zu als Werkzeug für innerdeutsche Zwecke instrumentalisieren? Und ansonsten darauf hoffen, dass andere Mächte schon dafür sorgen werden, dass in der Welt nichts passiert, das uns in unserer Ruhe stören könnte?
Für ein derartiges Großschweizertum war eigentlich schon die Aufgabe der D-Mark ein Schritt zu weit. Dem Großschweizer könnte heute in der Tat sowohl das Schicksal der Euro-Zone als auch das Schicksal Griechenlands wurscht sein. Ihm stellt sich nur die Frage: Kostet es uns mehr Geld, Griechenland zu helfen, oder kostet es uns mehr Geld, Griechenland nicht zu helfen?
Oder möchten wir deutsche Interessen aktiv und vorausschauend in der Welt vertreten? Eine wirtschaftliche, politische, militärische Sicherheitszone um Deutschland herum unterhalten, die negative Einflüsse der Globalisierung auf Deutschland abzufedern in der Lage ist?
Dann muss uns sowohl das Schicksal der EU als auch das Schicksal der Euro-Zone sehr am Herzen liegen, denn hier ist ebendieser Sicherheitsraum. Wir werden dann sicher bereit sein, einiges einzusetzen, um unser Glacis funktionstüchtig zu halten. Aus demselben Grund werden wir gleichzeitig nachdrücklich auf Maßnahmen drängen, die eine Wiederholung des Griechenlanddesasters unwahrscheinlich zu machen geeignet scheinen.
Oder verfolgen wir gar ein zivilisatorisches Projekt? Wollen wir ein Europa schaffen helfen, das als Leuchtturm des Fortschritts in die Welt des 21. Jahrhunderts strahlt? Die politisch-kulturelle Supermacht der Zukunft? Demokratisch und wohlhabend, freiheitlich und solidarisch, kreativ und verantwortungsbewusst?
In dem Fall werden wir uns ein Scheitern des Vorzeigeprojekts Euro sicher nicht leisten wollen. Wir werden nicht zulassen können, dass die Währungsunion, die die auseinanderstrebenden Kräfte in Europa dauerhaft zusammenfassen sollte, zerbricht und durch ihr Scheitern ebendiese Kräfte wieder freisetzt.
Was wollen wir in und mit Europa erreichen? Die Griechenland-Krise wird vorbeigehen – die Frage wird bleiben.
Michel
carolus
Haben Sie was gegen Zivilisation? Doch wohl nicht. Die kommt aber nicht von selbst, sondern ist das Ergebnis eines langen kulturellen und politischen Prozesses, der in seinem Verlauf auch viel kostet. Wie "teuer" war wohl die Errichtung des römischen Reichs für die Stadt Rom!? Der Aufwand hat sich für die Römer aber prächtig ausgezahlt!
Damit will ich nicht sagen, dass Deutschland ein neues römisches Reich errichten soll. Fakt ist nur, dass es sich in einer "Zivilisation" viel sicherer und besser lebt als "allein unter Barbaren". Und unter dem Strich ist es sogar billiger, da man sich nicht ständig gegen neue äußere Bedrohungen wehren muss.
michel
Ninon