Atomwaffen sind böse, aber sie beruhigen. Machen wir uns endlich ehrlich: Nuklearwaffen werden nicht mehr verschwinden, denn sie verleihen Macht und Sicherheit – leider nur dem, der sie hat. Was bedeutet das für uns?
Als vor einem Vierteljahrhundert der Kalte Krieg zu Ende ging, atmeten alle auf: Die atomare Selbstvernichtung der Menschheit in einem apokalyptischen Krieg zwischen den beiden bis an die Zähne nuklear bewaffneten Supermächten hatte nicht stattgefunden.
Dass Atomwaffen eine Bedrohung für den ganzen Planeten sind, war den Völkern der Welt schon vorher aufgegangen. Deshalb hatte man Ende der Sechzigerjahre den Atomwaffensperrvertrag ersonnen, der allen Unterzeichnerstaaten den Erwerb oder Besitz von Kernwaffen verbot – mit Ausnahme der fünf Länder, die damals schon welche besaßen: der USA, der Sowjetunion, Großbritanniens, Frankreichs und Chinas. Diese Staaten verpflichteten sich aber zur allmählichen atomaren Abrüstung.
Seither ist viel Zeit vergangen: Imperien zerbrachen und Imperien erstanden; Staaten lösten sich auf und Staaten wurden neu gegründet; Kriege wurden geführt, gewonnen, verloren, beendet; Politikergenerationen kamen und gingen.
Nie wurden in dieser Zeit Atomwaffen eingesetzt. Aber verschwinden wollten sie auch nicht. Die alten Atommächte denken nicht im Traum daran, ihre Arsenale zu leeren. Und einige andere Staaten wären gerne die neuen Atommächte. Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea besitzen heute ebenfalls Nuklearwaffen. Weitere Staaten träumen bislang nur von der Bombe. Zu diesen gehört der Iran, der sich – zu Recht oder zu Unrecht – von so ziemlich der halben Welt bedroht fühlt und deshalb vermutlich an der Bombe bastelt.
In diesen Tagen verhandeln in Wien die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland wieder mit dem Iran über dessen Atomprogramm. Die Frage, die man sich iranischerseits sicher stellt und die auch wir uns wieder einmal stellen wollen, lautet: Lebt ein Land mit Atomwaffen sicherer als ohne ? Bei der Antwort besteht kein Zweifel: Ja!
Wer's nicht glaubt, schaue sich die Ukraine an. Kiew hatte aus dem Erbe der Sowjetunion auch etliche Atomwaffen behalten. Bedrängt von den Großmächten und von besorgten Nachbarn gab das Land bis 2001 alle seine Nuklearwaffen ab – im Vertrauen auf die vertraglich niedergelegten Sicherheitsgarantien der USA und Russlands. Wie viel diese wert waren, sieht man derzeit auf der Krim und in der Ostukraine.
Im Klartext: Wäre die Ukraine vor 20 Jahren nicht so dumm gewesen, auf ihre Atomwaffen zu verzichten, gäbe es heute keine russischen Truppen im Land, und die Krim wäre noch immer ukrainisch.
Welche Lehren soll ein Land wie der Iran, der sich von waffentechnisch überlegenen Ländern bedroht fühlt, aus dem Schicksal der Ukraine ziehen?
Wohl diese: Ohne Atomwaffen gibt es keine militärische Sicherheit gegen Großmächte. Das Völkerrecht und die Völkergemeinschaft bieten gegen imperiale Mächte keinen Schutz. Die A-Bombe dagegen ist das Zauberschwert, das auch den Schwachen unbesiegbar macht.
Das weiß auch Nordkorea, das bereits den ein oder anderen Sprengkopf besitzt. Russlands Außenminister Lawrow erstaunt uns dieser Tage mit der Ankündigung, Russland wolle die Verhandlungen über das nordkoreanische Atomprogramm wieder aufnehmen. Russland! So abgeschnitten von der Außenwelt ist selbst Pjöngjang nicht, dass man dort das ukrainische Beispiel nicht vor Augen hätte. Die Tellermützenträger des Kim-Regimes müssten mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn sie ihre Bombe je wieder abgeben.
Eine der schwerwiegendsten Folgen von Russlands Abenteuer in der Ukraine ist die Delegitimierung des Atomwaffensperrvertrags. Aber bis man das in Moskau begreift, muss sich vielleicht erst eine nuklear bewaffnete, neo-osmanische Türkei zur Schutzherrin aller Turkvölker in der Russischen Föderation erklären.
Und wir atomwaffenlosen Mitteleuropäer, die wir so tapfer am Hirngespinst einer atomwaffenfreien Welt festhalten? Uns stellen sich zwei Fragen:
1. Wie wollen wir Staaten, die sich von militärisch überlegenen Mächten bedroht fühlen – und davon gibt es so einige – künftig davon überzeugen, dass es keine gute Idee ist, sich Nuklearwaffen zuzulegen? Sicherheitsgarantien von Großmächten sind ja offensichtlich das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt werden.
2. Wie wollen wir sicherstellen, dass wir selbst nicht künftig von atomaren Großmächten militärisch erpresst werden? Weiter gefragt: Was sind eigentlich die Sicherheitsgarantien unserer atomar bewaffneten Verbündeten wirklich wert? Bergen nicht auch diese das Potenzial für Erpressungsversuche von unerwarteter Seite? Etwa so: „Wir lassen euch mit dem nationalistischen Ehrgeiz der atomar bewaffneten Möchtegernsupermacht Russland alleine, wenn ihr uns nicht Gefolgschaft bei unseren eigenen imperialen Vorhaben leistet. Denn ihr braucht uns viel dringender, als wir euch brauchen.“
In einer Welt, die besser ist als die, die wir haben, würden die Atomwaffen einfach vergemeinschaftet. Die Vereinten Nationen oder regionale Zusammenschlüsse von Staaten würden jeweils ein überschaubares Atomwaffenarsenal unterhalten, das angriffslustige Imperien von gefährlichen Abenteuern abschrecken sollte, und über dessen Einsatz nur kollektiv entschieden werden könnte. Die existierenden Atommächte würden ihre Arsenale hier einbringen und damit auf eigene Nuklearstreitkräfte verzichten.
Dies wird so bald nicht passieren, da die heutigen Atommächte auf ihre privilegierte Machtposition nicht werden verzichten wollen. Was bleibt dann noch? Vergemeinschaftung light. Wenn die Atommächte wollen, dass andere Mächte nicht auch Atomwaffen beschaffen, dann könnten sie diesen Staaten echte Verteidigungsbündnisse anbieten – „Sicherheitsgarantien“ reichen nicht aus. Aber werden die USA dem Iran eine Allianz anbieten – gegen Israel? Wäre das sunnitische Pakistan bereit, den schiitischen Iran unter seinen nuklearen Schutzschild zu nehmen – gegen das sunnitische Saudi-Arabien? Beides schwer vorstellbar. So schwer vorstellbar, wie 1945 der Beitritt (West-)Deutschlands zu einem Bündnis der Westalliierten gegen die Sowjetunion. Und doch passierte genau das nur zehn Jahre später. Soll heißen: Phantasie ist gefragt.
Was nun unsere eigene Sicherheit vor atomaren Erpressungsversuchen betrifft, so könnten wir uns damit beruhigen, dass Deutschland das technische Wissen – und das spaltbare Material - besitzt, um in vergleichsweise kurzer Zeit eigene Atomwaffen zu entwickeln und zu bauen. Wer Deutschland gegenüber mit dem nuklearen Säbel rasselt oder umgekehrt mit dem Entzug des nuklearen Schutzschildes droht, muss wissen, in welche Richtung er das Land damit treibt. Auch das ist schon ein Abschreckungspotenzial. Wirken kann diese Abschreckung aber nur so lange, wie wir die Fähigkeiten zum Bombenbau tatsächlich vorhalten. Der Ausstieg aus der Kernenergie darf dann nicht zu einem kompletten Rückbau der deutschen Nuklearwirtschaft führen.
Wie auch immer – das Thema wird uns weiter beschäftigen. Für heute rekapitulieren wir:
- Mit Russlands Einmarsch in der Ukraine ist die Logik des Atomwaffensperrvertrags gescheitert. Der Besitz von Atomwaffen ist heute wieder wichtig.
- Die etablierten Atommächte müssen die anderen Staaten auf effektive Weise an ihrer Sicherheit teilhaben lassen. Dazu bedarf es mehr als papierener „Sicherheitsgarantien“.
- Deutschland muss sich elementare Fähigkeiten zum Bau von Nuklearwaffen erhalten – um sie nicht wirklich bauen zu müssen.
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