Angelas Handy und der ElefantOft haben wir uns hier über das niedrige Niveau der außenpolitischen Debatte in Deutschland beklagt; über die erstaunliche Abneigung gegen alles, was man für strategisches Denken halten könnte.

Jetzt veröffentlichen die Stiftung Wissenschaft und Politik sowie der German Marshall Fund genau das, was wir uns immer gewünscht haben: ein sorgfältig formuliertes, kluges Strategiepapier zu Händen der deutschen Außenpolitik. Und da ist es uns wieder nicht recht. Wie ist das mit Angela Merkel und dem Elefanten?

„Neue Macht. Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch“ (Pdf) ist der Text betitelt, für den eine gemeinsame Projektgruppe der SWP und des German Marshall Fund verantwortlich zeichnet. Die Mitgliederliste liest sich wie das „Wer ist wer?“ der deutschen außenpolitischen Community.

Das Papier ist ausgewogen und maßvoll; es gelangt von stimmigen Analysen zu vielen sinnigen Schlussfolgerungen. Ausgangspunkt ist die Feststellung: Deutschland ist „überdurchschnittlich globalisiert“ und „profitiert wie kaum ein anderes Land von der Globalisierung und der friedlichen, offenen und freien Weltordnung, die sie möglich macht (…) Das überragende strategische Ziel Deutschlands ist der Erhalt und die Fortentwicklung dieser freien, friedlichen und offenen Ordnung (…) Deutschland wird künftig öfter und entschiedener führen müssen. Aber unter den Bedingungen von Vernetzung und gegenseitiger Abhängigkeit – und ganz besonders im Rahmen der multilateralen Bindungen, die es selbst gewählt hat (VN, EU, NATO) – kann das nur heißen: führen für gemeinsame Ziele, führen mit anderen und mit Rücksicht auf andere“ (S.3/4).

Dieser Grundgedanke wird im Folgenden weiter entfaltet und auf die verschiedenen Bereiche und Dimensionen der Außenpolitik angewendet. Tenor ist immer: Deutschland soll sich im aufgeklärten Eigeninteresse stärker für die Fortentwicklung der freien Weltordnung engagieren und sich dabei auf seine Partner in EU und NATO, im sogenannten Westen stützen.

Das liest man kopfnickend; man liest erwartungsvoll weiter, wartet, wundert sich und irgendwann ist der Text zu Ende. Und man begreift: Der bei den angelsächsischen Partnern sprichwörtliche Elefant im Zimmer wird mit keinem Wort erwähnt!

Der Elefant, also das Offensichtliche, das schamhaft ignoriert wird, ist die zweifelhafte Verlässlichkeit der Partner, ohne die Deutschland die genannten strategischen Ziele doch angeblich nicht erreichen kann.

Man darf mit Gründen daran zweifeln, ob wichtige Partner an der „friedlichen, offenen und freien Weltordnung“, wie deutsche Analysten sie verstehen, tatsächlich interessiert sind. 

Alles, was im Zuge der unsäglichen Spionage-Geschichten derzeit aus den USA zu uns dringt, kann einen in der Wahrnehmung bestärken, dass die Vereinigten Staaten von Amerika als Kollektiv-Akteur sich in erster Linie als eine imperiale Macht verstehen, deren Hauptinteresse nicht in der Entwicklung einer „friedlichen, freien und offenen Weltordnung“ liegt, sondern in der imperialen Selbstbehauptung. Nicht nur Amerikas Spione, Amerikas Militär und Amerikas Kriege lassen diesen Schluss zu; auch die Haltung der USA zu den Versuchen, eine supranationale, institutionenbewehrte Rechtsordnung zu schaffen, sprechen eine deutliche Sprache, sei es die Reform der Vereinten Nationen oder die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs. Die Einstellung der USA zu einer Verrechtlichung der internationalen Beziehungen ähneln der Haltung des absoluten Monarchen zum Rechtsstaat: Jederzeit dafür – solange der König selbst über dem Gesetz steht!

Aber auch in Europa glaubt längst nicht jede Regierung an die Segnungen einer internationalen Werte- und Rechtsordnung à l'allemande. Die beiden einstigen Großmächte Großbritannien und Frankreich verteidigen die Reste ihrer imperialen Größe mit Klauen und Zähnen. Sie bestätigen sich ihren Status in völkerrechtsstrapazierenden militärischen Interventionen, ignorieren die Abrüstungsverpflichtung des Atomwaffensperrvertrages und denken nicht im Traum daran, für das Ideal einer gerechten Weltordnung auf ihr Vetorecht im UN-Sicherheitsrat zu verzichten. Und zumindest Großbritannien belauscht seine Verbündeten auf Teufel-komm-raus.

Das alles ist nicht erstaunlich und sogar verständlich. Wer Macht hat, braucht vielleicht keine „friedliche, freie und offene Weltordnung“. Frieden und Freiheit glaubt er durch seine Macht besser sichern zu können – Frieden und Freiheit für sich, nicht für die anderen.

Erstaunlich ist aber, warum Deutsche glauben, bei der Verfolgung ihrer strategischen Ziele die Unterstützung dieser ihrer Partner für gesichert halten zu können. Eine außenpolitische Strategie, die diesen Namen verdient, muss die teils gravierenden Interessenskonflikte mit Partnerstaaten in EU und NATO ansprechen.

Was soll Deutschland tun, wenn etwa Großbritannien oder Frankreich versuchen, die EU in eine Richtung zu entwickeln, die deutschen Interessen nicht förderlich ist – in eine bloße Freihandelszone, in eine Interventionsgemeinschaft oder eine Transferunion?

Oder wie soll Deutschland sich verhalten, wenn die USA versuchen sollten, Deutschlands „strategische Partnerschaften“ mit Staaten wie Russland oder China zu torpedieren?

Wie soll Deutschland sich dazu stellen, wenn künftig wieder einmal Partnerstaaten die Ressourcen der NATO kapern wollen, um ihre wars of choice zu führen; Kriege, die mit den deutschen Vorstellungen von einer „friedlichen, freien und offenen Weltordnung“ vielleicht nicht vereinbar sind?

Und was soll aus dieser deutschen Vision werden, wenn Deutschlands wichtigste Verbündete auch künftig die Vereinten Nationen vor allem als Mittel zu nationaler Machterhaltung betrachten?

Deutschlands Bündnisse und Partnerschaften lassen sich nicht immer auf Deutschlands strategische Ziele einschwören. Manchmal können sie der Erreichung dieser Ziele auch im Wege stehen. Und dann? Soll Deutschland ähnlich den USA seine Bündnisse als einen Werkzeugkasten betrachten, aus dem man sich bei Bedarf bedient, und um den man sich ansonsten wenig kümmert? Oder soll man seine ganze Kraft der Bündnispflege widmen und dabei alle Kröten schlucken? Oder nur Kröten einer ganz bestimmten Art? Welcher Art?

In einem Satz: Wie viel Souveränität wollen und müssen wir uns gönnen?

Diese Fragen möchte auch das kluge Strategiepapier von SWP und GMF nicht beantworten. So weit sind wir mit der strategischen Debatte in Deutschland denn doch noch nicht.

Aber der Elefant im Zimmer bewegt sich; zuweilen geht Porzellan zu Bruch, wie derzeit bei der Geschichte um Angela Merkels abgehörtes Handy. Betretenes Schweigen wird unsere Möbel auf Dauer nicht retten.




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