Das Ableben der Financial Times Deutschland und die Insolvenz der Frankfurter Rundschau haben im Internet nicht so sehr Betroffenheit als vielmehr manchenorts Häme ausgelöst: Die Holzmedien seien im Zeitalter des Internets ihrer eigenen Unbeweglichkeit zum Opfer gefallen, und das sei gut so. Dabei vermischt sich nicht selten der parareligiöse Erlösungsglaube der wahren Internetjünger mit Opas Sechziger-Jahre-Medienkritik:  „Das Net wird all unsere Probleme lösen; das Net, das Net und nur das Net!“ – „Und die traditionellen Medien sind böse, skrupellose Agenten und Handlanger des Teuf... des Kapitalismus, die das seinen wahren Interessen entfremdete Volk verblenden!“  Halleluja, halleluja, Brüder.

Und dann sollen die Blogger es richten. Gemeint sind dabei natürlich nicht bloggende, angestellte Journalisten („Meinungssöldner“), sondern unabhängige, selbständige Publizisten (wie wir!). Weise Einsiedler und tapfere Robin Hoods. Blogger sind gut. Sie spüren Themen und Fakten auf, die der kommerzgeprägte, böse Medienmainstream ignoriert, und beziehen alternative Meinungspositionen. (Merke: Schon das Wort „alternativ“ ist gut.) Und künftig sollen sie dann – gemeinsam mit diversen Crowd-Sourcing-Plattformen – die Dinosauriermedien ganz ersetzen. Das freie Internet wird freie Medien schaffen, ach was, eine freie Gesellschaft.

Vergesst es.

Der Glaube an die systemsprengende Macht der Blogosphäre beruht auf zwei Behauptungen:
1. Selbständige Blogger können ein hinreichend umfassendes Bild der politisch relevanten Wirklichkeit abliefern.
2. Selbständige Blogger sind unabhängig und objektiv.

Beide Behauptungen sind illusionär.


Können Politblogger das Aufspüren und Verbreiten von Neuigkeiten übernehmen? Zeitungen ersetzen?

Nein.

1. Kaum jemand kann vom Bloggen leben. Blogger haben in der Regel daher einen Brotberuf und daneben nicht die Zeit für investigativen Journalismus. Von 99% aller Blogger sind deshalb keine großen Enthüllungen zu erwarten. Teilzeitblogger taugen zur kritischen Begleitung des von traditionellen Medien berichteten Geschehens – die Berichterstattung selbst aber überfordert sie.

Gäbe es kontinuierlich sprudelnde Einkommensquellen für Polit- oder Nachrichtenblogger, so wahrscheinlich nicht für viele, da der Verdrängungswettbewerb in der Blogosphäre groß wäre, wenn es hier wirklich etwas zu verdienen gäbe. Zumal Medienkonzerne hier schnell einsteigen würden – mit festangestellten Bloggern auf etablierten Plattformen, die dann wieder nichts anderes wären als verkappte redaktionell organisierte Nachrichtenportale. Die wenigen hauptberuflichen, freien und zugleich finanziell hinreichend erfolgreichen Blogger könnten auch nicht ansatzweise das ganze gesellschaftliche Meinungsspektrum abdecken. Sie wären eine willkommene Ergänzung der traditionellen Medien, aber kein Ersatz.

2. Insofern freie Blogger also entweder keine Zeit oder kein Geld für journalistische Arbeit haben, verfügen sie nicht über den Arbeitsetat, der für solche Arbeit notwendig ist. Journalismus erfordert zum Beispiel räumliche Mobilität, und die ist teuer. Ein außenpolitischer Blogger wird sich all die Reisen zu Gipfeln und Krisenbrennpunkten nicht leisten können, die beim angestellten Journalisten das Medienunternehmen trägt.

3. Da freie Blogger kein Geld haben, haben sie auch keine Rechtsabteilung. Die aber hätten sie dringend nötig, wenn sie kritisch und investigativ über politische und gesellschaftliche Missstände berichten sollten. Mächtige, die sich auf den Schlips getreten fühlen, dürften wenig Skrupel haben, die ökonomische Existenz des Bloggers juristisch vernichten zu lassen, wenn der ihnen wirklich gefährlich wird. Derzeit laufen Politblogger im Windschatten der etablierten Medien – die Reaktionen der Mächtigen richten sich vor allem gegen die reichweitenstarken traditionellen Zeitungen und Sender, deren Rechtsabteilungen fit sind und die den Angreifern wirtschaftlich Paroli bieten können. Ohne einen solchen Schutzschirm stünden Blogger rabiaten Großunternehmen oder Großpolitikern hilflos gegenüber. Und man gebe sich nicht der Illusion hin, dass die Öffentlichkeit einem bedrohten Blogger beispringen würde – die wirtschaftlich Mächtigen können sich nicht nur Heerscharen von Juristen leisten, sondern auch Legionen von Öffentlichkeitsarbeitern und bezahlten Kontra-Bloggern. Im Kampf um die gesellschaftliche Deutungshoheit ist der Einzelblogger ein Fliegengewicht, das gegen ein halbes Dutzend Schwergewichtler gleichzeitig boxt. Und da hilft halt doch nur wegducken.

4. Blogger sind Einzelkämpfer und daher nicht in der Lage, ein komplettes Nachrichtenspektrum abzudecken. Um sich umfassend zu informieren, müsste der interessierte Nutzer daher täglich ein Dutzend verschiedene Blogs abrufen, statt wie bisher ein Newsportal. Die Akzeptanz der Nutzer für diesen Aufwand dürfte sich in Grenzen halten.
Jetzt können sich Blogger mit komplementären Interessen natürlich  auf Bloggingportalen zusammenschließen – das gibt es ja ansatzweise schon lange. Dadurch käme aber auch nur dann ein halbwegs vollständiges Nachrichtenbild zustande, wenn die einzelnen Mitglieder dieses Bloggingportals ihre Arbeit im Stile einer Redaktion absprächen und organisierten. Dann aber hätten wir wieder nur ein weiteres Nachrichtenportal.

5. Blogger unterliegen als Einzelkämpfer keiner institutionalisierten Qualitätskontrolle. Das fängt schon bei der Ausbildung an. Um in einem Medienunternehmen fest angestellt zu werden, braucht man heute meistens eine abgeschlossene fachliche Ausbildung; einen Teil der Ausbildung übernehmen die Unternehmen oft selbst. Das allein garantiert noch keine journalistische Qualität – es garantiert jedoch immerhin das Wissen darum, dass es überhaupt Qualitätsstandards gibt, und wie diese aussehen. Selbständigen Bloggern fehlt dagegen nicht selten das Bewusstsein für die handwerkliche Qualität ihrer Arbeit. Von ihren Lesern haben sie hier keine Nachhilfe zu erwarten – zwar wird in den Kommentarspalten oft meinungsstark gemosert und kritisiert, aber die meisten Kritiker sind ja auch nicht vom Fach und käuen nur naive Vorurteile gegenüber journalistischer Arbeit wider.

Blogger müssen sich weder in einer Redaktionskonferenz noch gegenüber einem Chefredakteur rechtfertigen: Das verleiht ihnen Unabhängigkeit und Freiheit – allerdings auch die Freiheit, den größten Schwachsinn zu veröffentlichen, und selbst die Freiheit, dreist zu lügen. Wer sich ausschließlich aus Blogs informieren will, muss ein äußerst versierter Mediennutzer sein, der selbst bei Themen, von denen er wenig versteht, solide Berichte von Unfug zu unterscheiden vermag. Der Normalnutzer dagegen ist bei traditionellen Medien besser aufgehoben, deren Glaub- und Vertrauenswürdigkeit er meist aus eigener Erfahrung recht gut einschätzen kann – Medienkompetenz ist weiter verbreitet, als die naiveren unter den Medienkritikern glauben.


Aber damit sind wir schon bei der zweiten Behauptung, die wir hinterfragen wollen:

Sind selbständige Blogger unabhängig und objektiv?

Natürlich nicht. Jedenfalls nicht unabhängiger und objektiver als andere Menschen.

Wie gerade gesagt, rettet keine Redaktion spinnerte Blogger  wie uns vor uns selbst. Wir sind frei, den größten Unsinn zu verbreiten, die einseitigsten Urteile zu fällen und die hinterhältigsten Intrigen zu befördern. Wir können es hier einmal zugeben: Wir Blogger stellen weniger die Wirklichkeit als uns selbst dar.

Aber noch gravierender: Der Leser kann nicht beurteilen, wes Lied der Blogger singt. Bei traditionellen Medien weiß der informierte Leser, dass sie eine bestimmte politische oder soziokulturelle Meinungsrichtung vertreten; er kann Schlagzeilen und Kommentare daher einordnen. Von wem der Blogger XY dagegen Geld einstreicht, weiß niemand außer ihm selbst. Und manche Hungerleider unter den selbständigen Bloggern würden liebend gerne von irgendjemandem Geld einstreichen. Machen wir uns nichts vor: Je stärker umstritten und umkämpft ein Thema ist, desto wahrscheinlicher sind Versuche von interessierter Seite, den kritischen Blogger zu kaufen. Und dass es, zumindest außerhalb der politischen Ecke der Blogosphäre, längst gang und gäbe ist, dass Blogger für Links und freundliche Texte von Unternehmen bezahlt werden, hat sich doch wohl mittlerweile herumgesprochen. Hoffentlich. Meinungshuren gibt es auch in der Welt der Blogs.

Damit haben wir jetzt besprochen, was unabhängige Blogger nicht können. Sie können kein auch nur annähernd komplettes Nachrichtenbild liefern. Sie können bei der Aufdeckung von Skandalen nicht viel leisten und sind auch sonst bei der Nachrichtenrecherche eher weniger effektiv als angestellte Journalisten. Darüber hinaus können fachlich nicht vorgebildete Leser die Seriosität von Bloggern nur schwer einschätzen – ein Blog kann seine Leser sowohl aufklären als auch aufhetzen, sowohl informieren als auch manipulieren, sowohl verehren als auch verarschen. Josef Goebbels wäre sicher ein begnadeter Blogger gewesen – viele seiner Tagebuchnotizen wären ohne Änderungen auch als Blogpost denkbar.

Wenn selbständige Blogger also angestellte Journalisten nicht ersetzen können – wozu taugen sie dann?

Die große Stärke der Blogosphäre besteht darin, dass sich grundsätzlich jeder zu jedem Thema öffentlich äußern kann. Ingenieure können über Politik schreiben, Hausfrauen über Software, Politiker über Fernreisen, Physiker über Geschlechterbeziehungen, Pfarrer über Gentechnik und Metallarbeiter über Hip-Hop. Das heißt, die Blogosphäre bietet die Chance, geschlossene Fachöffentlichkeiten aufzubrechen. Sie eröffnet eine Möglichkeit, Gesprächsfäden innerhalb der Gesellschaft wieder zu knüpfen, die als Ergebnis immer stärkerer Arbeitsteilung und Spezialisierung abgerissen waren.

Die Blogosphäre könnte das große Bewährungsfeld der Generalisten sein. Hier sprechen nicht nur Fachleute zu Fachleuten und auch nicht nur Autoritäten zu Laien. Hier gibt es keine gatekeeper, keine fachlich vorverbildeten  oder politisch vorfestgelegten Türsteher, die solchen Texten, die sich nur durch Klugheit, nicht aber durch Stallgeruch auszeichnen, den Weg in die Öffentlichkeit versperren könnten. Hier können Wissen und Erfahrungen aus verschiedenen Lebensmilieus zusammenfließen; hier kann man erfahren, was Gemüsehändler über Grass denken, welche Ansprüche Theologen an die Bedienbarkeit von Software stellen, wie Naturwissenschaftler die Rentenproblematik verstehen und wie Verkehrsplaner über die deutsche Entwicklungshilfe urteilen – und man kann mit ihnen ins Gespräch kommen. Dies alles ist keineswegs banal, denn wir leben in einer Gesellschaft, die stark von Fachidioten und politischen Vereinsmeiern geprägt ist. Wenn aber Wissen und Erfahrung aus allen Ecken der Gesellschaft aufeinandertreffen, kann so etwas wie gesunder Menschenverstand entstehen, common sense, der wirklich common, also allgemein ist. Dieses milieu-übergreifende Gespräch findet heute kaum statt – im Internet könnte es entstehen. Konjunktiv.

Blogs können so auf verschlungenem Wege langfristig die Qualität der gesellschaftlichen Debatten erhöhen. Der einzelne Politblogger zieht vielleicht wie Don Quixote gegen Windmühlen zu Felde, oder er träumt von publizistischen Rachefeldzügen à la Michael Kohlhaas – sein unmittelbares politisches Ziel wird er selten erreichen. Aber er wird, so er über Talent verfügt, Menschen berühren und inspirieren. Und auch wenn ihm nicht viel Talent zu Gebote steht, wird er doch zu einem Klima beitragen, in dem es selbstverständlich ist, wenn Menschen, die keine Nur-Fachleute sind, ihre Meinung selbstbewusst und so gut begründet, wie es ihrer Lebenserfahrung entspricht, öffentlich darlegen. Das ist das Klima der Volksversammlung. Das ist das Klima der Demokratie.

Aber noch einmal: Über die Dimension, innerhalb deren selbständige Blogger kurzfristig und konkret Einfluss auf die Gesellschaft ausüben können, darf man sich keinen Illusionen hingeben.

Wenn Blogger heute gesellschaftlich – wirtschaftlich oder politisch – relevant wären, würden die großen Medienunternehmen längst große Bloggingportale mit angestellten Bloggern betreiben. Dann würden auch Interessenverbände viel Geld investieren, um Blogger nach ihrem Geschmack in den Hochaufmerksamkeitsregionen der Öffentlichkeit zu halten.
Mit anderen Worten: Wären Blogger als alternative Öffentlichkeit bei gesellschaftlichen Streitfragen wirklich relevant und erfolgreich, würden sie es nicht lange bleiben, da die etablierten Öffentlichkeitshersteller sie mit viel Geld verdrängen würden.

Zuviel Erfolg sollte man sich daher vielleicht gar nicht wünschen. Il faut cultiver notre jardin.

Siehe auch
Zeitungssterben 1, oder: Spiegel online und der innere Schweinehund


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