Mit Blick aufs Jahresende empfinden wir ja immer den Strom der Zeit, in dem wir stehen und der uns mit sich fort reißt, besonders deutlich. Wo werd ich sein im künft‘gen Lenze? Aber nicht nur die noch im Winternebel verhangene Zukunft ist angetan, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln; auch die Vergangenheit lohnt. Der Blick zeitstromaufwärts zeigt uns Landschaften, die sich vom vertrauten Gefilde der Jetztzeit oft weniger unterscheiden, als man denken möchte. Und vieles von dem, was wir heute denken und morgen tun möchten, ist doch gestern schon einmal getan und vorgestern schon einmal gedacht worden.

Aus unserer Bibliothek erreicht uns ein Kommentar zur gerade zu Ende gegangenen Haushaltsdebatte des Bundestags. Er stammt von Christian Fürchtegott Gellert, der letzte Woche vor 250 Jahren gestorben ist.

 

Der junge Prinz

Ein junger Prinz, der sich des Oheims Gunst empfohlen,
bekam von ihm zweihundert Stück Pistolen
mit der Ermunterung, damit wohl umzugehn.

Er ließ nach ein'ger Zeit sich wieder vor ihm sehn.
Indem dass nun der Oheim mit ihm red'te,
so fragt er ihn zu gleicher Zeit,
ob er das letzte Geld wohl angewendet hätte?
„Hier“, sprach der junge Prinz erfreut,
„hier hab' ich meine ganze Kasse;
an den zweihunderten fehlt nicht ein einzig Stück.“

Der Oheim nahm den Augenblick
das Geld und warf es auf die Gasse.
„Lernt, Prinz“, fingt drauf der Oheim an,
„die Kunst, das Geld nutzbarer anzuwenden;
ein Prinz hat darum viel in Händen,
damit er vielen dienen kann.“


Christian Fürchtegott Gellert, gestorben am 13. Dezember 1769 

 

(Anmerkung: "Pistolen" hießen im 18. Jahrhundert Goldstücke im Wert von fünf Talern.​)

 


Christian Fürchtegott GellertGellert war ein landesweit bekannter Intellektueller in der Epoche der Aufklärung; als Dichter und Philosoph eine Art moralischer Instanz für das gebildete Bürgertum Deutschlands. Sein Ziel einer Verbindung christlicher Ethik mit den Grundsätzen der Vernunft macht ihn gewissermaßen zum Christdemokraten avant la lettre. Wie er zur Idee der Schwarzen Null gestanden hätte, wage ich nicht zu beurteilen.


 

 

Bild:
Gottfried Hempel: Christian Fürchtegott Gellert. 1752. Via Wikimedia Commons.

 

 

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