Was genau amerikanische Geheimdienste in Deutschland alles getrieben, wen alles sie wie ausgespäht haben, ist nach wie vor unklar – und wird es sicher auch bleiben; dazu sind es schließlich Geheimdienste.
Die deutschen Reaktionen auf die Schnüffelangriffe auf deutsche Bürger und – vielleicht – den deutschen Staat schwanken zwischen hochfahrender Entrüstung und peinlichem Schweigen. Hier wird ein deutsches Dilemma sichtbar:
Der deutsche Staat sieht sich amerikanischer Spionage ausgesetzt, die seinen Interessen objektiv schadet. Amerikanische Geheimdienste verletzen nicht nur systematisch die Privatsphäre deutscher Bürger, sondern betreiben anscheinend auch wirtschaftliche und politische Aufklärung – möglicherweise bis in höchste deutsche Regierungskreise.
Andererseits aber glaubt man in Deutschland, die amerikanischen Aufklärer zu brauchen, wenn es um die Abwehr terroristischer Gefahren geht. Man meint, US-Spionage-Erkenntnisse, die einem bröckchen- und gnädigerweise mitgeteilt werden, nicht entbehren zu können, da man sich selbst nicht in der Lage sieht, diese sicherheitsrelevanten Informationen zu gewinnen.
Die bislang spärlichen amerikanischen Kommentare sind etwas verblümt, sprechen im Kern aber vom nationalen Interesse der USA, das über den Respekt vor den Rechten von Nicht-Amerikanern gehe, und seien es Bürger verbündeter Staaten.
Im Klartext: Deutschland ist von einem Partner abhängig, der diese Abhängigkeit dazu benutzt, Deutschland zu schaden. Zumindest hält ihn diese Abhängigkeit nicht davon ab.
Und wir lernen: Es ist gefährlich, sich von einem Partner abhängig zu machen, dessen Machtapparat im Kern nationalistischen Ideen verhaftet ist und der im Kern nationalistischen Motivationen unterliegt. Als nationalistisch wollen wir hier eine Haltung betrachten, die eigene nationale Interessen gegenüber den legitimen Interessen verbündeter Staaten als derart vorrangig erachtet, dass man bereit ist, sie mit gewaltsamen oder gewalt-äquivalenten Methoden durchzusetzen. Wobei die Methode den Nationalismus macht.
Wohlgemerkt: Dass ein Sicherheitsapparat national orientiert ist, liegt in der Natur der Sache – das ist kein Merkmal, in dem sich die USA unrühmlich von anderen Staaten unterscheiden.
Gerade deshalb aber ist es kein Unfall, wenn eine nationalistische Hegemonialmacht die „partnerschaftlichen“ Privilegien, die ihr ein Klientenstaat in Hoffnung auf Protektion einräumt, missbraucht. Es liegt vielmehr in der Logik der Konstellation. Das ist der Preis, der für den Luxus sicherheitspolitischer Unselbständigkeit zu zahlen ist.
Dieses Risiko trägt jedes Land, das es sich freiwillig in der Umlaufbahn um einen hegemonialen Fixstern bequem macht. Nun hat Deutschland seit 1990 schon einige Anstalten gemacht, diese Sphäre zu verlassen. Materielles Vorteilsdenken und geistige Faulheit verhindern aber nach wie vor den letzten Entschluss. Hätte Deutschland die aufgeklärte Öffentlichkeit, die politische Kompetenz, die Verbündeten, die Geheimdienste und die Streitkräfte, die es bräuchte, um auch in Krisensituationen ohne Unterstützung der USA klarzukommen, dann könnte man jetzt mit einem Federstrich die bekannten Dependancen amerikanischer (und britischer) Geheimdienste in Deutschland schließen und alle geheimdienstliche Zusammenarbeit vorübergehend suspendieren. US-Politiker, die im Gegenzug mit dem Abzug der noch verbliebenen amerikanischen Truppen von deutschem Boden drohten, könnte man gelassen beim Wort nehmen. Diese sicherheitspolitische Emanzipation könnte ein strategisches Ziel sein.
Wenn wir es allerdings vorziehen, im Zustand selbstverschuldeter Unmündigkeit zu verharren, gilt halt weiterhin: Entrüstet gucken und – runterschlucken.
Schauen wir mal, wie die Diskussion der nächsten Wochen verläuft.
(Ach ja, bei der Gelegenheit fällt uns wieder Kant ein:
„AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines angelsächsischen Experten zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen.“
Oder so ähnlich.)
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