18. Juli 2014, 28 Grad im Schatten

Im Sommer gehen uns die Weltereignisse nichts an. Das Tablet lassen wir zu Hause, wenn wir zum Strand ziehen; aus der Zeitung basteln die Kinder Sonnenhüte; den Fernseher mögen wir nicht auf die Terrasse herausziehen: Soll doch die Welt machen, was sie will. Hauptsache, wir haben noch ein Kaltgetränk vor uns stehen.

Gibt es wirklich Kriege – in der Ukraine, in Palästina, in Syrien? Ganz schlimm. Aber ja zum Glück nicht für uns. Stichwort Kaltgetränk.


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So ähnlich muss es auch im Sommer 1914 gewesen sein.

„2. August. Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. - Nachmittag Schwimmschule“, schrieb Franz Kafka in sein Tagebuch. 


Die Unfähigkeit, die Katastrophe aus dem Strom der Alltagsdinge herauszufühlen – sie ist besonders ausgeprägt, wenn unser Alltag sonnig und ferienmäßig ist, wenn die Spannung unseres Geistes nachlässt und unsere Seele die Dinge endlich einmal treiben lassen will. Wenn wir uns am sichersten fühlen, sind wir am verwundbarsten.

Das ist die tiefste Lehre aus dem Ersten Weltkrieg: Es gibt keine Sicherheit – das Schlimmste kann jederzeit passieren. Auch bei uns.

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18. Juli 1914, 27 Grad im Schatten

Vor 20 Tagen wurde in Sarajewo ein Attentat verübt, auf wen nochmal? Und wo war gleich Sarajewo? Wir trinken in der Sonne Limonade, schütteln den Kopf über die Unvernunft der Fanatiker in fernen Ländern und freuen uns aufs Schwimmen am Wochenende.

In 10 Tagen wird Krieg sein.

In zwei Wochen sind die ersten von uns tot.



Bild: Carl Larsson: Der Krebsfang. 1897. (Wikimedia Commons)

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