Nach den Argumenten für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr nun die Argumente dagegen.

Der Gegner dieses Einsatzes sind viele. Der Gründe gegen diesen Einsatz auch. Aber sie sind nicht alle gleich gut – oder gleich schlecht.

 

Gute Gründe für einen Abzug…

1. In Afghanistan sterben deutsche Soldaten. Wofür? Die Bundeswehr ist keine Söldnertruppe, die ihr Leben für Geld jederzeit und überall riskiert. Das Risiko, getötet zu werden, ist den Soldaten nur zuzumuten, wenn es um nichts weniger als die Verteidigung der Heimat geht. Das ist hier nicht der Fall. Zwar ist Deutschland durch Terroristen bedroht, aber dagegen haben wir Geheimdienste und Polizei. Das Opfer der Soldaten ist nicht zu rechtfertigen.

2. Es zeigt sich je länger desto mehr, dass die deutsche Bevölkerung und die deutsche Politik schlichtweg nicht bereit sind, ihre Truppe in Afghanistan so auszustatten, dass diese dort den Krieg mit Aussicht auf Erfolg führen könnte. Anscheinend ist Deutschland strukturell unfähig, einen Krieg intelligent zu führen. Dann aber ist der Einsatz eine Farce – er bringt nichts, kostet aber Menschenleben und Geld.

3. Auf absehbare Zeit ist es unwahrscheinlich, dass eine anti-islamistische afghanische Regierung sich ohne dauerhafte Unterstützung westlicher Staaten wird halten können. Afghanistan wird so im besten Fall ein Proktektorat des Westens, dass über viele Jahre hinweg auch deutsche Ressourcen verschlingen, gleichzeitig aber auch noch antiwestliche, auch antideutsche Ressentiments erzeugen wird. Dieser Preis ist zu hoch für das Bisschen Stabilitätsgewinn.

4. Der militärische Stabilisierungseinsatz ist sinnlos, solange die Aufbau- und Ausbildungsaufgaben vernachlässigt werden. Wenn wir nicht ewig dort bleiben wollen, müssen wir den Afghanen Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Wenn wir beides nicht tun wollen, können wir eigentlich gleich ganz zu Hause bleiben.


… und schlechte Gründe für einen Abzug

1. „Durch den deutschen Einsatz in Afghanistan sterben Afghanen.“ – Nun, würde die Bundeswehr durch US-Truppen ersetzt, stürben wohl nicht weniger Menschen. Und bei einem sofortigen Abzug aller westlichen Truppen stürben vermutlich noch viel mehr Afghanen. Dann ginge der Bürgerkrieg erst richtig los.

2. „Der deutsche Einsatz in Afghanistan ist völkerrechtswidrig.“ – Nein. Über die völkerrechtliche Legitimation des Angriffs der USA und ihrer Verbündeten im Jahr 2001 auf den Taliban-Staat kann man zwar diskutieren. Die internationale Stabilisierungstruppe ISAF jedoch – und nur um die geht es hier – hat ein klares Mandat des UN-Sicherheitsrates, ersichtlich aus mittlerweile fast einem Dutzend von Resolutionen. Legaler kann ein Einsatz kaum sein.

3. „Niemand hat das Recht, Bundeswehrsoldaten in Lebensgefahr zu bringen, wenn er nicht selbst bereit ist, diese Gefahr zu teilen.“ – Unsinn. Dann dürfte man im Brandfall auch nicht die Feuerwehr rufen, solange man nicht selbst bereit ist, ins brennende Haus zu gehen. Und als Zeuge eines Verbrechens dürfte man nicht die Polizei rufen, wenn man nicht selbst bereit ist, sich todesmutig auf den Verbrecher zu stürzen.

4. „Kriege in Afghanistan sind nicht zu gewinnen. Das hat noch nie jemand geschafft.“ – Doch. Die Sowjetunion hat ihren Afghanistankrieg zwar tatsächlich nicht gewonnen. Dafür waren die – ebenfalls regelmäßig als Beleg für afghanische Unbesiegbarkeit herhalten müssenden – Briten im 19. Jahrhundert in Wirklichkeit recht erfolgreich. Nach einer Niederlage im Ersten Afghanistankrieg gewannen sie 1880 den Zweiten Afghanistankrieg, setzten eine Regierung von ihren Gnaden ein, verwandelten das Land in ein Protektorat und entzogen es so russischem Einfluss. Ein großer Teil Afghanistans wurde dem Empire einverleibt und gehört bis heute zu Pakistan.

5. „Kriege gegen Guerillastreitkräfte sind nicht zu gewinnen.“ – Stimmt nicht. Das ist eine naive Verallgemeinerung einer deutschen Erfahrung aus dem Zweiten Weltkrieg. Aber aus der Tatsache, dass die Wehrmacht Titos Partisanen nicht besiegen konnte, folgt nicht das Geringste für Afghanistan. Es gibt in der Militärgeschichte zahlreiche Beispiele, in denen Partisanen schließlich besiegt wurden. Übrigens wurde auch die Wehrmacht 1945 nicht von Partisanenverbänden zur Kapitulation gezwungen.

6. „Der Militäreinsatz behindert den zivilen Aufbau: Er kostet Geld, das für Entwicklungsprojekte fehlt; und er kann manchmal Entwicklungshelfer diskreditieren.“ – Ohne diesen Einsatz aber gäbe es gar keine Entwicklungsprojekte. Islamisten sind nicht sehr erpicht auf westliche Hilfe; in einem Bürgerkrieg aber ist alle Hilfe in den Wind geworfen.

7. „Der Militäreinsatz selbst provoziert ständig weitere antiwestliche Ressentiments.“ – Nun, bei einem Teil der Bevölkerung. Einem anderen, großen Teil der Bevölkerung ist er willkommen; hier würde ein Abzug antiwestliche Ressentiments erzeugen. („Der Westen hat uns verraten.“)

8. „Die westlichen Besatzungsmächte machen gemeinsame Sache mit Kriegsherren und Drogenbaronen und entziehen so der Demokratisierung selbst den Boden.“ – Erstens ist die Demokratisierung Afghanistans kein Ziel an sich für die deutsche Außenpolitik. Zweitens sind die neuen Herrscher zumindest nicht schlimmer als die alten. Drittens ist es illusionär, Afghanistan an westlichen Demokratiemaßstäben messen zu wollen. Man muss mit den Eliten arbeiten, die da sind – Demokraten kann man sich nicht backen.

9. „Der Einsatz in Afghanistan dient dubiosen strategischen Zielen amerikanischer Militär- und Wirtschaftseliten.“ –  Na und? Wenn dem tatsächlich so sein sollte, wäre das für die deutsche Außenpolitik völlig irrelevant, so lange es eigene, deutsche strategische Gründe für den Einsatz gibt und so lange diese US-Ziele den deutschen Interessen nicht zuwiderlaufen.

 

So. Fehlen noch Argumente?

Und jetzt stellt sich die Frage: Wie gut sind die guten Gründe für den sofortigen Abzug?

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