Letzten Sonntag wurde Joachim Gauck zum neuen Bundespräsidenten gewählt – eine Veranstaltung, die einer gewissen Würde nicht entbehrte; und auch das Volk wurde gesehen, in Gestalt von Otto Rehagel, Frank Elstner und ein paar Zaungästen vor den Toren, wie es sich für die Inthronisation eines Bürgerkönigs schickt. Wie haben wir das eigentlich früher gemacht?

Mitbürger, die über ein sehr gutes Gedächtnis verfügen, erinnern sich vielleicht noch an die Krönung Ottos von Sachsen, der damals noch nicht Otto der Große war, an einem schönen Augusttag des Jahres 936. Für diejenigen unter uns, die nicht so weit zurückdenken können, erinnert unser Gewährsmann Widukind von Corvey an das Ereignis:

„Defuncto itaque patre patriae et regum maximo optimo Heinrico omnis populus Francorum atque Saxonum iam olim designatum regem a patre, filium eius Oddonem, elegit sibi in principem. Universalisque electionis notantes locum iusserunt esse ad Aquasgrani palatii. Est autem locus ille proximus Iulo, a conditore Iulio Caesare cognominato.

Cum que illo ventum esset, duces ac prefectorum principes cum caetera principum militum manu congregati in sixto basilicae Magni Karoli cohaerenti collocarunt novum ducem in solio ibidem constructo, manus ei dantes ac fidem pollicentes operamque suam contra omnes inimicos spondentes, more suo fecerunt eum regem…

--  Nachdem so der Vater des Vaterlandes und der größte, beste aller Könige Heinrich gestorben war, wählte sich das ganze Volk der Franken und Sachsen dessen Sohn Otto, der schon vorher vom Vater zum König designiert worden war, zum Herrscher. Zum Ort der allgemeinen Wahl bestimmten sie die Pfalz Aachen. Jener Ort aber liegt in der Nähe von Jülich, das nach seinem Gründer Julius Cäsar benannt ist.

Und als man dorthin gekommen war, versammelten sich die Herzöge und die vornehmsten Grafen mit der anderen Schar vornehmer Ritter in der Säulenhalle, die mit der Basilika Karls des Großen verbunden ist. Sie setzten den neuen Herrscher auf einen dort aufgestellten Thron, huldigten ihm, versprachen ihm Treue und gelobten ihm ihre Unterstützung gegen alle Feinde. So machten sie ihn nach ihrem Brauch zum König.

Während dies von den Herzögen und den übrigen Amtsträgern vollführt wurde, erwartete der Erzbischof mit der gesamten Priesterschaft und dem ganzen Volk innen in der Basilika den Einzug des neuen Königs. Als dieser erschien, ging der Erzbischof ihm entgegen und berührte mit seiner Linken die Rechte des Königs, während er selbst in der Rechten den Krummstab hielt. Mit der Albe bekleidet, mit der Stola und dem Messgewand geschmückt, schritt er bis in die Mitte des Heiligtums und blieb stehen. Er wandte sich zum Volk um, das ihn umstand – in jener Basilika gab es nämlich unten und oben umlaufende Säulengänge – so dass er vom ganzen Volk gesehen werden konnte. „Seht“, sprach er, „hier bringe ich euch Otto, der von Gott erwählt und vom großen Herrn Heinrich schon designiert, jetzt tatsächlich von allen Fürsten zum König erhoben worden ist. Wenn euch diese Wahl gefällt, so hebt die rechte Hand zum Himmel!“ Darauf hob das ganze Volk die Hände in die Höhe und wünschte dem neuen Herrscher unter lautem Rufen Glück.

           
Danach schritt der Erzbischof mit dem König, der nach Art der Franken mit einer eng anliegenden Tunika bekleidet war, hinter den Altar, auf den die königlichen Insignien gelegt worden waren: das Schwert mit dem Gehänge, der Krönungsmantel mit den Spangen, der Stab mit dem Zepter und die Krone...
Der Erzbischof trat an den Altar, nahm das Schwert mit dem Gehänge, drehte sich zum König und sprach: „Nimm dieses Schwert, mit dem du alle Feinde Christi, alle Barbaren und schlechten Christen vertreiben mögest, denn durch göttliche Autorität ist dir alle Macht im ganzen Frankenreich übertragen, zum unerschütterlichen Frieden für alle Christen.“
Sodann ergriff er die Spangen und den Mantel und legte ihn dem König an: „Durch dieses Gewand“, sprach er, „das bis auf die Erde herabhängt, mögest du daran gemahnt werden,  in welchem Eifer des Glaubens du erglühen sollst, und dass du bis zu deinem Ende nie darin nachlassen darfst, den Frieden zu schützen.“
Sodann nahm er den Stab mit dem Zepter und sprach: „Durch diese Zeichen sollst du ermahnt werden, deine Untertanen in väterlicher Zucht zu leiten und vor allem den Dienern Gottes, den Witwen und Waisen die Hand der Barmherzigkeit zu reichen. Und niemals möge dein Haupt ohne das Öl des Mitgefühls sein, auf dass du jetzt und in Zukunft mit ewigem Lohn gekrönt werdest.“

Und auf der Stelle wurde er von den Bischöfen Hildebert und Wichfried mit heiligem Öl gesalbt und mit der goldenen Krone gekrönt. Nachdem so die rechtmäßige Weihe vollzogen war, wurde er von denselben Bischöfen zum Thron geführt, zu dem man über eine Wendeltreppe hinaufstieg; und dieser war zwischen zwei Marmorsäulen von wunderbarer Schönheit so aufgebaut, dass der König selbst alle sehen und zugleich von allen gesehen werden konnte.

Nachdem man sodann Gott Lob gesungen und feierlich das Messopfer gefeiert hatte, stieg der König hinunter und ging in die Pfalz. Er trat an die marmorne, mit königlicher Pracht geschmückte Tafel und setzte sich dort mit den Bischöfen und dem ganzen Volk; die Herzöge aber bedienten ihn. Giselbert, der Herzog der Lothringer, zu dessen Herzogtum der Ort Aachen gehörte, organisierte alles. Eberhard kümmerte sich um die Tafel, der Franke Hermann um den Wein, Arnulf kümmerte sich um die Ritterschaft und um Auswahl und Errichtung des Lagers. Siegfried aber, der beste der Sachsen und zweiter nach dem König, Schwager des vorigen Königs, nun tatsächlich auch mit dem neuen verschwägert, verwaltete zu dieser Zeit Sachsen, damit in der Zwischenzeit  nicht Feinde in das Land einbrächen...

Der König aber ehrte danach in Ausübung seiner königlichen Mildtätigkeit einen jeden Fürsten mit einem passenden Geschenk und entließ die Menge der Gäste in aller Fröhlichkeit. --
 
... Dum ea geruntur a ducibus ac caetero magistratu, pontifex maximus cum universo sacerdotali ordine et omni plebe infra in basilica prestolabatur processionem novi regis. Quo procedente pontifex obvius laeva sua dexteram tangit regis, suaque dextera lituum gestans, linea indutus, stola planetaque infulatus, progressusque in medium usque fani subsistit; et reversus ad populum, qui circumstabat - nam erant deambulatoria infra supraque in illa basilica in rotundum facta -, quo ab omni populo cerni posset: «En», inquit, «adduco vobis a Deo electum et a domino rerum Heinrico olim designatum, nunc vero a cunctis principibus regem factum Oddonem; si vobis ista electio placeat, dextris in caelum levatis significate». Ad haec omnis populus dextras in excelsum levans cum clamore valido inprecati sunt prospera novo duci.

Proinde procedit pontifex cum rege tunica stricta more Francorum induto pone altare, super quod insignia regalia posita erant, gladius cum balteo, clamis cum armillis, baculus cum sceptro ac diadema. (…)
Ipse autem accedens ad altare et sumpto inde gladio cum balteo, conversus ad regem ait: «Accipe», inquit, «hunc gladium, quo eicias omnes Christi adversarios, barbaros et malos Christianos, auctoritate divina tibi tradita omni potestate totius imperii Francorum, ad firmissimam pacem omnium Christianorum». Deinde sumptis armillis ac clamide induit eum: «His cornibus», inquit, «humitenus demissis monearis, quo zelo fidei ferveas, et in pace tuenda perdurare usque in finem debere». Exinde sumpto sceptro baculoque: «His signis», inquit, «monitus paterna castigatione subiectos corripias, primumque Dei ministris, viduis ac pupillis manum misericordiae porrigas; numquamque de capite tuo oleum miserationis deficiat, ut in presenti et in futuro sempiterno premio coroneris».

Perfususque ilico oleo sancto et coronatus diademate aureo ab ipsis pontificibus Hildiberhto et Wichfrido, ac omni legitima consecratione completa, ab eisdem pontificibus ducitur ad solium, ad quod per cocleas adscendebatur, et erat inter duas marmoreas mirae pulchritudinis columpnas constructum, unde ipse omnes videre et ab omnibus ipse videri posset.
 
Divina deinde laude dicta sacrificioque sollempniter celebrato descendebat rex ad palatium, et accedens ad mensam marmoream regio apparatu ornatam resedit cum pontificibus et omni populo; duces vero ministrabant. Lothariorum dux Isilberhtus, ad cuius potestatem locus ille pertinebat, omnia procurabat; Evurhardus  mensae preerat, Herimannus Franco pincernis, Arnulfus equestri ordini et eligendis locandisque castris preerat; Sigifridus vero, Saxonum optimus et a rege secundus, gener quondam regis, tunc vero affinitate coniunctus, eo tempore procurabat Saxoniam, ne qua hostium interim irruptio accidisset (...) Rex autem post haec unumquemque principum iuxta munificentiam regalem congruenti sibi munere honorans cum omni hilaritate dimisit multitudinem. “

Widukind von Corvey: Rerum gestarum Saxonicarum libri tres. Entstanden zwischen 960 und 980.


Manche Dinge haben sich nicht geändert. Die Großen kungeln den Herrscher aus, das Volk hebt nur noch die Hand, und der neue König muss als erstes einmal seine Mildtätigkeit beweisen. Die Symbolik der Insignien finden wir sehr sinnig; vielleicht sollten wir Schwert, Mantel und Zepter bei der Krönung des nächsten Bürgerkönigs wieder hervorkramen – ach nein, die haben sich 1801 ja die Österreicher gesichert. Schade.

Otto würde heuer übrigens 1100 Jahre alt. Als pater patriae wäre ihm eine schöne ceremonia sicher.

Joachim Gauck aber wünschen wir – das Schwert ist nach der aktuellen deutschen Verfassung ja eher das insigne der Bundeskanzlerin – dass sein Haupt niemals ohne das Öl des Mitgefühls sein möge, auf dass er sich ewigen Lohn erwerbe.

   

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.

Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
BBCode-Formatierung erlaubt