Karl-Theodor zu Guttenberg soll neuer Verteidigungsminister werden und den, wie sagt man doch: glücklosen Franz Josef Jung ablösen. Guttenberg geht ein Ruf wie Donnerhall voraus, und sicher wird man ihn jetzt vielerorts von Kopf bis Fuß mit Vorschusslorbeeren behängen wollen. Er geht einen schweren Gang.

Wie schwer, das wird noch einmal in einem Bericht von Marco Seliger aus Afghanistan ersichtlich, der sich diese Woche bei Thomas Wiegold und auf faz.net findet. Beschrieben wird die Frustration von Bundeswehrsoldaten angesichts der strukturellen Unfähigkeit der Truppe, ihren Auftrag auszuführen:

„Die Bundeswehr dringt nicht in das Kerngebiet der Taliban vor. Das unwegsame Gelände westlich von Kundus ist mit „Dingo“ und „Fuchs“, den beiden Patrouillenwagen der Truppe, nicht zu durchqueren. Um in die Dörfer zu kommen, wären Operationen abgesessener Infanterie notwendig. In Anbetracht der Ausrüstung und der Personalschwäche der deutschen Truppen in Kundus ist das nicht möglich. „Wir bräuchten Transport- und Kampfhubschrauber, die uns hineinbringen, Feuerschutz geben und aus Notlagen evakuieren können“, sagt ein Feldwebel. „Wir bräuchten funktionierende Fernmeldeverbindungen und mehr Soldaten, um die Orte anschließend so lange zu halten, bis afghanische Sicherheitskräfte nachrücken. Doch alles das haben wir nicht.“

Wie sollen sie die Menschen dann schützen können, wie es der Isaf-Kommandeur Stanley McChrystal von den Truppen fordert? „Gar nicht“, sagt ein Bundeswehrsoldat. „Wir können das nicht, weil wir viel zu wenige sind.“ Und das schon seit Jahren.“

Wer oder was ist eigentlich schuld an diesem Desaster?

Kern der Misere ist die Unfähigkeit der deutschen Politik, einen klaren politischen Zweck des Kriegseinsatzes in Mittelasien zu definieren. Entsprechend konfus sind Mittelansatz und Strategie.

Das offizielle politische Ziel ist die Befriedung Afghanistans durch militärische Stabilisierung und wirtschaftlich-kulturelle Entwicklung. Die Stabilisierung soll dabei so bald wie möglich von einheimischen Sicherheitskräften geleistet werden. Aus diesem politischen Ziel ergeben sich zwei militärische Teilaufgaben: zum einen das Niederhalten friedensstörender Kräfte durch deutsche Truppen - für eine Übergangszeit. Zum zweiten der zügige Aufbau leistungsfähiger afghanischer Sicherheitskräfte, die nach und nach die deutschen Kräfte ersetzen können. Beiden Teilzielen ist der deutsche Kräfteansatz bislang nicht gerecht geworden. Und auch die Strategie der regionalen und operativen Selbstbeschränkung war hier nur begrenzt hilfreich.

Nun ist aber möglicherweise ja das eigentliche politische Ziel des deutschen Einsatzes ein anderer. Nehmen wir also an, das Ziel sei nicht die Stabilisierung Afghanistans, sondern die Stabilisierung der NATO: Die NATO soll in Afghanistan ihre Relevanz beweisen, damit die USA militärische Experimente fürderhin nicht mehr im Alleingang, sondern wieder in Abstimmung und Zusammenarbeit mit ihren Verbündeten vornehmen. Es ginge also um den Erhalt der NATO und um die Wahrung eines gewissen deutschen Einflusses auf amerikanische Politik. In Verfolgung dieses Zieles müsste die Bundeswehr alles tun, um die NATO-Kriegführung als möglichst effektiv erscheinen zu lassen. Das Gegenteil aber ist der Fall: Deutschland weigert sich, NATO-Verbündete in anderen Landesteilen zu unterstützen. Und Deutschland weigert sich, durch Entsendung einer großen, schlagkräftigen Streitmacht die militärischen Fähigkeiten des Bündnisses zu stärken. Beides schadet der NATO und dem deutschen Einfluss innerhalb derselben.

Oder ist das strategische Ziel der deutschen Afghanistanpolitik, schlicht in Ruhe gelassen zu werden, weil man woanders Wichtigeres zu tun hat? Man möchte keine Konflikte mit wichtigen außenpolitischen Partnern, also schickt man pro forma ein paar Soldaten hin. Man möchte keine Konflikte mit dem pazifistisch gesonnenen Segment der eigenen Wählerschaft,  also schickt man möglichst wenig Militär mit möglichst wenigen Waffen und verbietet den Kampf. Dummerweise ermuntert man mit dieser demonstrativen Schwäche den militärischen Gegner – gegen den man ja eigentlich gar nicht kämpfen will; für den man aber eben deshalb ein lohnendes Ziel darstellt. Clausewitz hat dazu das Seinige gesagt. Und man entfremdet sich seinen Partnern. So schafft man sich eben dadurch Probleme, dass man allen Problemen aus dem Weg gehen wollte.

Was also wollen wir in Afghanistan?
Wollen wir primär das Land befrieden? Dann brauchen wir viel mehr Kampftruppen, viel mehr Material, viel mehr Ausbilder und eine neue Strategie.
Wollen wir primär die NATO stabilisieren? Auch dann brauchen wir mehr vom Genannten, vor allem aber die Bereitschaft, deutsche Truppen vorbehaltlos einem zentralen NATO-Kommando zur Verfügung zu stellen.
Oder wollen wir vor allem in Ruhe gelassen werden? Dann sollten wir zügig die Truppen abziehen und uns vor Vorwürfen seitens der Verbündeten, die sich auch nicht alle mit Ruhm bekleckert haben, nicht fürchten.

Wenn die deutsche Politik hier keine Prioritäten setzt, wird letztlich keines der drei Ziele erreicht werden können.

So, und jetzt Sie, Guttenberg.
   

Links

"Es ist blutiger Ernst" auf "Augen geradeaus!", Thomas Wiegold

"Entweder die oder ich" von Marco Seliger, auf faz.net


P.S.
Auch andernorts wird Ziel- und Planlosigkeit in Afghanistan beklagt.  Armées.com zitiert aus einem just erschienenen Buch des ehemaligen kanadischen Generalstabschefs Rick Hillier, der das Wirken der NATO wie folgt kritisiert: „Ils [les généraux de l’OTAN à Bruxelles] n’avaient aucune stratégie, aucune idée sur ce qu’ils voulaient accomplir, aucune direction politique et très peu de forces militaires. C’était catastrophique.“ 

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