Wenn über die fehlende Reife der außenpolitischen Diskussionskultur in Deutschland geklagt wird, heißt es öfter mal, die Deutschen würden ihr Land am liebsten als eine Art großer Schweiz sehen. Qua Naturrecht reich, sicher, neutral, unangefochten von allem, was jenseits der eigenen Grenzen geschieht.

Nun, mittlerweile ist bekannt, dass auch die Schweizer zuweilen durch den fernen Hufschlag fremder Kavallerie beunruhigt werden. Ein interessantes Licht auf diese Schweizer Sorgen wirft eine aktuelle Analyse zur Lage der Schweizer Außenpolitik, die beim Center for Security Studies an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich entstand.

Ich spitze die Argumentation etwas zu:

Die Schweiz geht seit langem einen außenpolitischen Sonderweg. Sie integriert sich nicht in Bündnisse, tritt keine Souveränität ab, verhält sich stets neutral und konzentriert sich darauf, die Wirtschaftsinteressen ihrer Bürger möglichst effektiv zu vertreten.

Zwischen den Großmächten und Großbündnissen hat sie sich politische Nischen gesucht, in denen sie lange Zeit prosperiert hat. Wirtschaftspolitisch war sie als Zufluchtsort für Geld und Steuerflüchtlinge sehr erfolgreich. Europapolitisch hat sie ein bilaterales Verhältnis zur EU aufgebaut, das ihr ermöglichte, Zugang zum Binnenmarkt zu haben, ohne alle EU-Regelungen umsetzen zu müssen. Sicherheitspolitisch hat sie sich fallweise als Friedensmaklerin und politische Vermittlerin zu profilieren gewusst.

Dieser Sonderweg stößt jetzt an Grenzen. Die Welt hat sich verändert, und die Schweizer Nischenstrategien funktionieren auf einmal nicht mehr.

Wirtschaftspolitisch: Solange die Globalisierung auf wirtschaftlichem Gebiet vor allem Deregulierung und Rückzug der Politik bedeutete, wurden die großzügigen Schweizer Asylregelungen für ausländisches Kapital vom Ausland zähneknirschend akzeptiert. Dann aber kam die Weltwirtschaftskrise und mit ihr die Rückkehr der Politik in die internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Und nun gerät die Schweiz gewaltig unter Druck. Und es zeigt sich, dass das Land ohne Verbündete diesem außenpolitischen Druck nicht widerstehen kann. Das Bankgeheimnis ist schon weitgehend gekippt; nun geraten die Schweizer Steuersätze ins Kreuzfeuer, und ein Ende der Forderungen des Auslands, namentlich der EU und der USA, ist nicht abzusehen.

Europapolitisch: Die fortgeschrittene Harmonisierung vieler Politikbereiche innerhalb der EU beschränkt den Verhandlungsspielraum der Schweiz immer mehr. Die EU ist zunehmend weniger bereit zu akzeptieren, dass die Schweiz zwar von den Vorteilen des Binnenmarkts und einheitlichen Rechtsraums profitieren will, aber nicht bereit ist, selbst alle Regelungen umzusetzen. Zunehmend wird bei Vertragsverhandlungen erwartet, dass die Schweiz den acquis communautaire, d.h. den in der EU mühsam erreichten Regelungsstand eins zu eins übernimmt. Und die Schweiz muss viele Kröten einfach schlucken.

Allgemein außenpolitisch: Die Machtverhältnisse in der Welt verändern sich; neue Mächte entstehen, alte Mächte schließen sich immer mehr zusammen; aber die Schweiz bleibt ein Kleinstaat in selbst gewählter Einsamkeit, dessen relativer Einfluss immer mehr schrumpft. Die Schweiz hat keinen Einfluss auf die weltwirtschaftlichen Lenkungsbeschlüsse der G20; ihre Stellung beim IWF ist bedroht. Sie hat keinen Einfluss auf die EU-Gesetzgebung, die aber ihrerseits immer mehr die Schweizer Gesetzgebung beeinflusst. OSZE und Europarat werden immer mehr vom EU-Block dominiert und teilweise in ihrer Rolle faktisch durch die EU ersetzt. Die Zukunft der EFTA ist ungewiss. Ohne Verbündete kann sich die Schweiz gegenüber Pressionsversuchen seitens anderer Staaten, wie neulich der USA und derzeit Libyens, nur mühsam behaupten.

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Was lehrt uns das? So mancherlei.

In der Welt der Gegenwart ist es für ein einzelnes Land nur noch schwer möglich, sich dem Trend hin zu inter- und supranationalen Regelungsprozessen zu entziehen. Wer an der arbeitsteiligen Weltwirtschaft teilhaben möchte, muss wohl oder übel die Regeln akzeptieren, die dieses Wirtschaftsgeschehen nach dem Willen der meisten Beteiligten lenken sollen – und zwar auch dann, wenn er bei der Setzung dieser Regeln selbst nicht beteiligt war. Politischer Isolationismus bringt nichts mehr ein; er verschleudert nur den Rest an Souveränität, den man immerhin hätte wahrnehmen können, wenn man bei der Formulierung der Regeln selbst hätte Einfluss nehmen dürfen.

Zweitens zeigt der Fall Schweiz, inwieweit die Position derer illusionär ist, die dem zweifellos gravierenden Demokratiedefizit der EU durch einen Rückzug auf den demokratischen Nationalstaat zu entkommen hoffen. Die Schweiz ist in mancher Hinsicht der außenpolitisch autonomste Staat Europas; gesegnet darüber hinaus mit einer funktionierenden direkten Demokratie. Beides reicht aber offenkundig nicht aus, um in allen Fällen die Volkssouveränität, das elementare Recht der Bürger auf politische Selbstbestimmung, gegenüber der EU durchzusetzen. Die Schweiz ist von der EU abhängig, die EU aber nicht von der Schweiz. Also setzt die EU ihre Regeln durch, ohne dass der Schweizer Demos noch viel beeinflussen könnte. Was nutzt eine direkte Demokratie, wenn die Alternativen, zwischen denen gewählt werden kann, jeweils von einer externen Macht vorgegeben werden?

Also: Wer Angst vor einem undemokratischen Moloch namens EU hat, muss innerhalb der EU auf Demokratisierung hinwirken – der Rückzug auf den Nationalstaat hilft nicht weiter. Auch bei uns nicht: Denn selbst Deutschland ist stärker von der EU abhängig als die EU von Deutschland.


Link:

Schweizer Aussenpolitik 2009: Eine Standortbestimmung. Analyse des Center for Security Studies an der ETH Zürich (Pdf-Dokument)

  
   

4 Kommentare

Verschachtelt

  • rosenmeyer  
    Thema: Demokratiedefizit der EU

    "Wer Angst vor einem undemokratischen Moloch namens EU hat, muss innerhalb der EU auf Demokratisierung hinwirken"

    Leicht gesagt! Was aber, wenn dieser Moloch sich als demokratieresistent erweist?? Bleibt da nicht letztlich nur die Flucht? O.K., es wäre schwierig sich des Drucks der EU zu erwehren. Dann aber wäre das letzte Mittel zur Rettung der Demokratie die Sprengung der EU. Es müssten sich mehrere Mitgliedstaaten finden, die in einer konzertierten Aktion gemeinsam austreten und dann vielleicht noch mal ganz was Neues gründen. England und Polen wären da bestimmt für zu gewinnen. Andere dann vielleicht auch.
  • franko  
    Na, wenn Sie es schon schaffen, einige Staaten zum Austritt aus der EU zu bewegen, dann könnten Sie doch stattdessen gleich eine demokratische Struktur in der EU durchsetzen, oder?
  • nocheinbuerger  
    "Zweitens zeigt der Fall Schweiz, inwieweit die Position derer illusionär ist, die dem zweifellos gravierenden Demokratiedefizit der EU durch einen Rückzug auf den demokratischen Nationalstaat zu entkommen hoffen. Die Schweiz ist in mancher Hinsicht der außenpolitisch autonomste Staat Europas; gesegnet darüber hinaus mit einer funktionierenden direkten Demokratie. Beides reicht aber offenkundig nicht aus, um in allen Fällen die Volkssouveränität, das elementare Recht der Bürger auf politische Selbstbestimmung, gegenüber der EU durchzusetzen."


    Ach wirklich? Wenn eine Volksabstimmung stattfindet, wo sich eine deutliche Mehrheit der Schweizer für oder gegen etwas ausspricht, wie z.B. jüngst bei Minarettverbot, dann will ich doch mal wissen, was die Schweizer Politik und die EU dagegen unternehmen könnten. Die Schweiz militärisch besetzen? Oder solange abstimmen zu lassen, bis das gewünschte Ergebnis dabei herauskommt? Die wiederholte Volksabstimmung in Irland über den sog. Lissabon-Vertrag (EU-Verfassung)zeigt ja sehr deutlich, wie man es seitens der EU-Bürokratie mit der Demokratie und der Bevölkerungsmeinung zu halten gedenkt. Wenn diese sich aber so deutlich erkennbar vom Willen der EU-Bürokratie unterscheidet, dann fällt es wesentlich schwerer, sie zu unterdrücken.


    "Die Schweiz ist von der EU abhängig, die EU aber nicht von der Schweiz. Also setzt die EU ihre Regeln durch, ohne dass der Schweizer Demos noch viel beeinflussen könnte. Was nutzt eine direkte Demokratie, wenn die Alternativen, zwischen denen gewählt werden kann, jeweils von einer externen Macht vorgegeben werden?"


    Sehr viel. Sie schränken die Möglichkeiten der politischen Klasse ein, über die Köpfe der Menschen hinweg und gegen deren Willen Entscheidungen zu treffen. Das ist genau das, was wir in Deutschland brauchen.
  • nocheinbuerger  
    "Leicht gesagt! Was aber, wenn dieser Moloch sich als demokratieresistent erweist?? Bleibt da nicht letztlich nur die Flucht? O.K., es wäre schwierig sich des Drucks der EU zu erwehren. Dann aber wäre das letzte Mittel zur Rettung der Demokratie die Sprengung der EU."


    Alle Leute in meinem Bekanntenkreis stehen der EU mittlerweile wenigstens skeptisch oder z.T. offen ablehnend gegenüber. Wenn sich jemand wie die EU in die Position des Schulmeisters begibt und sich als Retter aus der Krise anbietet, soll derjenige erst mal zeigen, daß er sich selbst retten kann. Im Moment stehen sowohl der Euro als auch die EU selbst unter einer ernsten Zerreißprobe, und ob sie bestehen werden, ist noch lange nicht entschieden. Daß sie so in der derzeitigen Form nicht überlebensfähig sind, darf als gesichert betrachtet werden.

    Auch die Abschaffung des Nationalstaates und dessen Aufgehen in einer supranationale Einheit, wie im Artikel gepriesen, steht noch lange nicht auf der Tagesordnung. Wenn besonders von der deutschen Politik in vorauseilendem Gehorsam Souveränitätsrechte an die EU delegiert wurden, um sich vor einem angeblichen unheilvollen nationalen Erbe (NS-Zeit) zu schützen, zeigen die Entscheidungen der letzten Jahre, was dabei herauskommt. Entweder bürokratischer, ideologisch befrachteter Nonsens, oder Entscheidungen von Lobbyverbänden, die an den nationalen Parlamenten vorbei den entsprechenden Bevölkerungen aufs Auge gedrückt werden sollen. In den letzten Jahren geschah das üblicherweise auf Kosten der deutschen Interessen. Deutschland wird dabei gern als Zahlmeister benutzt, dem man die Kosten der EU aufbürden kann, weil die dortige politische Klasse am euphorischsten und darum am realitätsfernsten von einer europäischen Nation schwärmt.

    Es ist eine für jedermann erkennbare Tatsache, daß der Hauptträger aller politischen, wirtschaftlichen und fiskalischen Entscheidungen sowohl in der EU als auch weltweit noch immer die Regierungen der Nationalstaaten sind. Es sind eben die Nationen, mit der sich die Menschen am meisten identifizieren und denen auf dieser polititischen Ebene deren Loyalität gilt. Ich glaube nicht, daß sich das in absehbarer Zeit ändern wird. Warum sollte die - hoffentlich bald erneuerte - EU nicht ein Bund von Nationen sein, wo die Entscheidungen, wenn es irgendwie geht, auf den unteren Ebene getroffen werden? Die Mißachtung des versprochenen Subsidiaritätsprinzips, zusammen mit den himmelschreienden Demokratiedefiziten, sind der Hauptgrund für die Ablehnung der Menschen der EU-Bürokratie gegenüber. Nicht umsonst macht das böse Wort von der EUdSSR die Runde.

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