Thorsten Kleinschmidt, 2. Juli 2011


Europa geht unter, und Deutschland ist schuld.  Diesen Eindruck zumindest kann man gewinnen, wenn man in diesen Wochen und Monaten Kommentare in ausländischen Medien liest. (Beispielhaft: Niall Ferguson über „Murder on the EU Express... Who really killed Europe?“.) Der deutsche Wähler und die deutschen Eliten, so der Tenor, seien am europäischen Einigungswerk nicht mehr interessiert; wie Dagobert Duck zählten sie in ihrem Geldspeicher lieber ihre Taler, statt den armen Verwandten zu helfen, oder statt mit ihren Partnern gemeinsam gegen die Panzerknacker vorzugehen.

Nun, wir meinen, da doch noch ein paar andere Problemeuropäer ausgemacht zu haben. Aber soviel ist richtig: Viel zu oft beschränkt sich die deutsche Diskussion über Europa aufs Geldzählen. Dabei geht es doch um viel mehr, nämlich um die Frage: Wie kann Deutschland im 21. Jahrhundert die Interessen seiner Bürger – wirtschaftliche Interessen, Sicherheitsinteressen, politische Interessen – in einer Welt behaupten, die durch den Aufstieg neuer Großmächte und durch neue Verteilungskämpfe geprägt sein wird?

Man braucht die EU nicht zu lieben, um anzuerkennen, dass sie den europäischen Klein- und Mittelmächten die Chance gibt, auch künftig im Konzert der Großen noch ein Instrument zu spielen. Und das ist wichtig, wenn man vom gnädigen Wohlwollen dieser Großen nicht abhängig werden will.

Eigentlich versteht sich dieser Zusammenhang von selbst. In der deutschen Öffentlichkeit aber wird die EU heute zuvörderst als ein wirtschaftliches Projekt gesehen. Für die politische Dimension – Gewähr deutscher Sicherheit, Mehrung deutschen Einflusses in einer unübersichtlichen Welt –  fehlt den meisten Deutschen der Sinn.

Das hängt mit der partiellen außenpolitischen Impotenz Deutschlands während der letzten sechzig Jahre zusammen. „Sicherheit“ war weitgehend an die NATO bzw. lange auch an den Warschauer Pakt delegiert. „Einflussmehrung“ wurde zwar von den Eliten faktisch betrieben, öffentlich aber hinter einem Schleier aus taktischer internationalistischer Rhetorik verborgen, sodass die Öffentlichkeit vergaß, dass es sich hier um das Kernziel jeder Außenpolitik handelt: den eigenen Handlungsspielraum zu behaupten oder auszuweiten, um die Chance zu wahren, eigene Interessen zu verteidigen. Stattdessen wurde das Streben nach Einfluss im moralisierenden Diskurs der Post-Nazi-Zeit sogar nicht selten als nationalistisch geschmäht.

Natürlich war es schön, wenn der deutsche Außenminister sich in großer Runde mit seinen Kollegen aus anderen Ländern Gedanken um Frieden und Freiheit in Europa machte. Aber im Grunde fühlten die Deutschen sich für Frieden und Freiheit in Europa nie zuständig – dafür waren doch die Amerikaner und die Russen und die Franzosen und die Briten verantwortlich. Und die Wahrung oder Ausweitung deutschen Einflusses in der Welt? Altes Denken, schließlich wurden die Nationalstaaten doch gerade abgeschafft, oder?

So blieb die „Förderung deutscher Wirtschaftsinteressen“ das einzige Ziel, dessen Verfolgung in den Augen der breiteren Öffentlichkeit die spezielle Aufgabe der deutschen Außenpolitiker blieb.

Und so ist es auch heute noch. Deutsche Außenpolitik gilt vielen als erfolgreich, wenn sie uns Geld einbringt. Sie gilt als Misserfolg, wenn sie uns Geld kostet. Wirtschaftsabkommen mit Russland und China sind gut, Hilfe für Griechenland und Portugal ist schlecht.

Die derzeitige Krise der EU wird daher nur in einer vermeintlichen wirtschaftlichen Bedeutung für Deutschland wahrgenommen – Sicherheit und Einfluss sind im Grunde als Ziele deutscher Politik öffentlich nicht präsent.

Dabei waren und sind deutsche (Netto-) Zahlungen in EU-Kassen doch nie Ausdruck deutscher Dummheit oder Gutmütigkeit, sondern Investitionen. Deutschland kauft damit Einfluss und Sicherheit. Und nie zuvor in der deutschen Geschichte waren Einfluss und Sicherheit so billig zu haben – früher wurde dafür Krieg geführt.

Kostet uns Griechenland, kostet uns der Euro, kostet uns Europa Geld? Natürlich, viel Geld sogar, aber das allein ist weder gut noch schlecht. Die entscheidende Frage ist, was wir dafür als Gegenleistung bekommen. 
   
Fragen wir doch einmal so herum: Wie müsste eine europäische Ordnung aussehen, die uns eine Billion Euro wert wäre?

 

2 Kommentare

Linear

  • michel  
    "Deutschland kauft damit Einfluss und Sicherheit."

    Kaufen soll man sich etwas aber nur, wenn man sich das auch leisten kann. Wir sind doch selbst bis zum Hals verschuldet! Noch mehr Einfluss und noch mehr Sicherheit sind dann halt einfach im Moment zu teuer für uns. Wenn mein Konto leer ist, kaufe ich mir ja auch keinen teuren Rotwein, sondern ich gebe mich mit dem zufrieden, was ich habe.

    Und ich jedenfalls bin zufrieden mit dem Einfluss und der Sicherheit, die wir jetzt haben. Mehr wäre vielleicht nett, ist aber eigentlich unnötig.
  • carolus  
    "Noch mehr Einfluss und noch mehr Sicherheit sind dann halt einfach im Moment zu teuer für uns."

    Hier geht es nicht um "noch mehr". Das Dumme ist doch, wenn ein Staat nicht dauernd in Einfluss und Sicherheit investiert, dann ist der Einfluss und die Sicherheit, die er bislang genossen hat, irgendwann auch weg. Um E. und S. zu behalten, muss man kontinuierlich Ressourcen einsetzen, man kann nicht einfach aussetzen.

    Oder um in ihrem Bild zu bleiben. Es geht nicht um teuren oder billigen Wein - es geht um trinken oder verdursten. Hopp oder Topp. Entweder wir wollen, dass uns die EU etwas bringt (Einfluss und Sicherheit) - dann müssen wir dafür sorgen, dass sie funktioniert, und auch Geld in die Hand nehmen. Oder wir geben kein Geld mehr aus - dann funktioniert die EU nicht mehr, und wir verlieren ganz schnell den enormen Einfluss, den wir über diese Schiene haben, und mittelfristig auch die Sicherheit in einem befriedeten Europa.

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