Letzten Monat beschäftigten sich Ralph Rotte und Christoph Schwarz in der ApuZ, der sozialwissenschaftlichen Beilage zur Zeitung „Das Parlament“, mit der Special Relationship Großbritanniens zu den USA. Gibt es die noch? Der Befund ist zwiespältig. Die britische Gefolgschaft gegenüber den USA in den 1990er und 2000er Jahren hat sich politisch nicht ausgezahlt, im Gegenteil. Und die hohe Verschuldung Großbritanniens erzwingt eine Verkleinerung der britischen Militärmacht bis zu einem Punkt, wo sie den USA kaum noch nützlich sein kann. Die britische Sicherheitspolitik richtet sich daher gerade neu aus. Andererseits besteht weiter eine hohe, sagen wir, seelische Anhänglichkeit an die Vettern in Übersee.

Uns brachte die Lektüre auf die Frage: Hat eigentlich Deutschland eine „Special Relationship“, nein, eine „Besondere Beziehung“ zu einer anderen Nation? „Besonders“ im Sinne einer dauerhaften emotionalen Verbundenheit der Bevölkerung und/oder einer konstant ähnlichen Wahrnehmung nationaler Interessen bei den jeweiligen nationalen Eliten? Oder anders gefragt: Wer ist Deutschlands Lieblingsverbündeter?

 

Kandidat 1 – Frankreich

Ist es Frankreich? Das „deutsch-französische Tandem“, „le couple franco-allemand“ wird traditionell als „der Motor Europas“ beschrieben. Eine Sonderbeziehung liegt hier sicher vor, eine Liebesbeziehung aber wohl eher nicht. Von einer besonderen emotionalen Verbundenheit ist wenig zu bemerken; weder hat die französische Sprache in Deutschland, noch hat die deutsche Sprache in Frankreich einen herausgehobenen Stellenwert. Man interessiert sich im Allgemeinen wenig für die Alltags- und Populärkultur der jeweils anderen.

Und die Interessenwahrnehmung der Eliten? Wie unterschiedlich die in Teilen ist, haben die heftigen Dispute über die Reaktion auf die Krise des Euroraums letztes Jahr wieder gezeigt. Warum aber finden sich Deutschland und Frankreich politisch dann meist doch wieder zusammen? Weil beide Seiten nach einer langen Reihe von Kriegen und Konflikten endlich begriffen haben, wie sehr sie einander schaden können, ohne dass doch eine die andere dauerhaft niederhalten könnte. Und einen Gegner, den man nicht besiegen kann, muss man umarmen. Man arbeitet zusammen, um sich nicht wechselseitig zu blockieren. Vernunft ja, Verständnis wenig, Liebe nein.


Kandidat 2 – die USA

Falls Frankreich nicht zum Lieblingsverbündeten taugt – wie wäre es mit den USA? Die atlantische Ausrichtung ist in der deutschen Politik ja traditionell der Gegenpol zur Orientierung an Frankreich. Auswanderung, Besatzung und Kalter Krieg haben die Deutschen nachhaltig für Amerika interessiert; der wirtschaftlich fundierte Import amerikanischer Populärkultur hat die deutsche Kultur sichtbar beeinflusst. Zahlreiche Deutsche vor allem der älteren Generation fühlen sich den USA innerlich verbunden.

Nun wird allerdings oft der amerikanische Kultureinfluss auf die deutsche Gesellschaft stark überschätzt. Die meisten angeblichen Belege für eine „Amerikanisierung“ der Deutschen („Demokratisierung“, „Individualisierung“…) sind schlicht Ergebnis einer evolutionären gesellschaftlichen Modernisierung Deutschlands, die vor allem einer Binnenlogik folgt und mit den USA wenig zu tun hat. Hinter ähnlichen Fassaden verbergen sich daher oft durchaus unterschiedliche Werthaltungen. Wie wenig die Deutschen geneigt sind, sich mit dem amerikanischen Gesellschafts- und Politikmodell zu identifizieren, zeigt die Popularität von Zuschreibungen, die alle möglichen negativen sozialen Phänomene, von Ghettobildung und Kriminalität über Erosion der Mittelschicht und soziale Ungerechtigkeit bis hin zu islamistischem Terrorismus dem „amerikanischen Einfluss in der Welt“ in die Schuhe schieben. „Amerikanische Verhältnisse“ gelten als Bedrohung, nicht als Verlockung.

Auf der Ebene der Eliten haben sich die Wahrnehmungen der nationalen Interessen seit Ende des Kalten Kriegs sichtlich auseinanderentwickelt. Die USA gelten in Deutschland heute als wichtiger Verbündeter, weil sie ein enorm ressourcenreicher und daher sehr nützlicher Verbündeter sind, vorausgesetzt amerikanische und deutsche Interessen stimmen im konkreten Fall überein. Dass amerikanische Interessenpolitik aber automatisch gut für Deutschland sei, glaubt spätestens seit der Amtszeit George W. Bushs wohl niemand mehr.


Kandidat 3 – Österreich

Hätte man vor 100 Jahren die Frage nach Deutschlands engstem Verbündeten und nach einer politischen Sonderbeziehung gestellt, wäre unweigerlich Österreich genannt worden. Nicht nur teilte man eine gemeinsame Sprache, man teilte auch eine gemeinsame kulturelle und staatliche Tradition. Vor 1871 galt Kern-Österreich ganz selbstverständlich als Teil Deutschlands. Und nicht als irgendein Teil: Wien war über Jahrhunderte die Residenzstadt der deutschen Kaiser gewesen. Österreicher betrachteten sich als Deutsche und wurden von anderen als Deutsche betrachtet. Erst die Einverleibung Österreichs in den NS-Staat und in der Folge Österreichs Teilhabe am politischen, militärischen und moralischen Bankrott desselben führte zu einer Abgrenzung Österreichs vom Konzept des (groß-) deutschen Nationalstaats.

Und heute? Seit die Frage des „Anschlusses“ nicht mehr auf der Tagesordnung steht, sind die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich so gut wie eh und je. Sprache und kulturelle Traditionen verbinden. Wohl mit keinem anderen Land gestalten sich für die Deutschen wirtschaftliche, touristische und kulturelle Kontakte so unkompliziert wie mit Österreich. Selbst die notorischen Kabbeleien und kleinen Rivalitäten etwa im Sport zeugen davon: Wenn zwei sich ständig miteinander vergleichen, dann haben sie wohl eine gemeinsame Vergleichsbasis und kennen einander sehr gut. Spielerische Animositäten ähnlicher Art gab und gibt es auch innerhalb Deutschlands – sie sind zuweilen nervig, aber paradoxerweise auch Ausdruck von Nähe.

Und siehe da, auch auf dem Feld der Politik gibt es seit dem Beitritt Österreichs zur EU und dem relativen Bedeutungsverlust der NATO eine solche Nähe. In der EU ist Österreich einer der verlässlichsten Unterstützer deutscher Vorhaben; nicht aus taktischen Überlegungen, sondern weil man zum einen sehr ähnliche Wertvorstellungen für Politik und Wirtschaft hat und zum anderen die geopolitische Lage im Zentrum Europas teilt.

Schade nur, dass die Machtressourcen eines 8-Millionen-Staats im Vergleich zu den obgenannten Mächten recht begrenzt sind.

 

Kandidat 4 – die Niederlande

Gibt es noch weitere Kandidaten für den Titel des „besten Verbündeten“? Die Niederlande sind ein interessanter Fall, der manche Ähnlichkeit mit dem Fall Österreich aufweist. Auch die Niederlande teilen mit Deutschland viele politische, wirtschaftliche, kulturelle Traditionen, auch sie waren einst Teil des Alten Reichs. Allerdings liegt das mittlerweile sehr lange zurück. Auch begründete die jahrhundertelange Ausrichtung der Niederlande auf ein Kolonialreich und auf den Überseehandel andere Traditionen, die in Deutschland fehlen. Die deutsche Besetzung im Zweiten Weltkrieg führte darüber hinaus in den Niederlanden zu weitaus stärkeren Abgrenzungsbestrebungen als in Österreich.

Nichtsdestotrotz kommen Deutsche und Niederländer im europäischen Alltag sehr gut mit einander zurecht; die wirtschaftlichen und touristischen Beziehungen sind eng; die Kommunikation ist problemlos. Allfällige Frotzeleien und kleine nachbarschaftliche Animositäten zeugen mittlerweile auch hier eher von Nähe als von Distanzierung.

Die Werthaltungen der Eliten scheinen sich aufeinander zubewegt zu haben. Deutschland ist heute wirtschaftlich und politisch ähnlich global vernetzt wie die Niederlande, auch Maßstäbe zur Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft sind hüben wie drüben ähnlich liberal. Die Niederlande ihrerseits haben ihre einseitig westlich-ozeanische Orientierung aufgegeben und engagieren sich im Rahmen von EU und NATO längst intensiv bei der Gestaltung der (kontinental-)europäischen Ordnung. Wie Österreich gehen auch die Niederlande oft mit deutschen Politikansätzen konform und gelten vielen Beobachtern in West- und Südeuropa als Teil eines vermeintlichen „deutschen Lagers“ in der EU. Anders als Österreich bemühen sich die Niederlande auch aktiv um die Entwicklung einer europäischen Sicherheitspolitik, was deutschen Interessen ebenfalls entgegenkommen sollte.

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Was machen wir aus all dem? Eine „Goldene Palme für den engsten Verbündeten“ mögen wir nicht vergeben. Wir vermuten auch, dass in einer Epoche vielgestaltiger wechselseitiger Abhängigkeiten zwischen Gesellschaften die Zeit für „Special Relationships“ und „Nibelungentreue“ zwischen einzelnen Staaten oder gar einzelnen Regierungen vorbei sein könnte.

Wir erkennen gleichwohl, dass kulturelle Nähe, gemeinsame Traditionen sowie ähnlich erfahrene geopolitische und historische Sachzwänge gesellschaftliche und politische Zusammenarbeit erleichtern. Aus diesem Grund nehmen wir an: Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland einerseits, Österreich und den Niederlanden andererseits steht auf einem stabileren Fundament als die deutsch-französische Vernunftehe. Diese wiederum scheint uns dauerhafter angelegt als das pragmatische Bündnis mit den USA, dessen Qualität stärker von historischen Zufälligkeiten abhängig wirkt.

Was bedeutet das für deutsche Außenpolitik? Diese wird Konsens dort zu bauen suchen, wo Konsens zu bauen ist. Das legt eine Intensivierung internationaler Kooperation im mitteleuropäischen Raum nahe. Man kann spekulieren, ob nicht auch in anderen Ländern Mitteleuropas als den genannten ein historisch begründetes kulturelles Potenzial und eine ähnliche geopolitische Interessenwahrnehmung vorhanden sind, die die politische Zusammenarbeit besonders fruchtbar zu machen versprechen. Die Schweiz wäre hier zu nennen, aber auch Tschechien, die Slowakei, Belgien oder Luxemburg.

Frankreich bleibt dabei die Nemesis deutscher Politik. Wann immer deutsche Außenpolitik versucht sein mag, von einer starken Position in Mitteleuropa aus eine dominante Stellung in der EU anzustreben, wird Frankreich dazwischenschlagen, dass die Funken sprühen – bildlich gesprochen. Was immer Deutschland daher tut – in irgendeiner Form muss Frankreich eingebunden werden. Die deutsch-französische Ehe muss Bestand haben.

Und die USA? Sind mittlerweile eher ein ally of choice als ein ally of necessity. Außer dem Afghanistankrieg gibt es mit den Amerikanern kein echtes gemeinsames Projekt mehr. Der Atlantik ist doch breiter, als man lange dachte.

 
 

 

 

3 Kommentare

Linear

  • carolus  
    Ich glaube, die Deutschen mögen eigentlich keinen ihrer Verbündeten wirklich. Oder nein, sie mögen wohl die Länder, aber sie wollen eigentlich mit niemandem politisch etwas unternehmen. Wo irgend möglich, versucht Deutschland doch sich außenpolitisch rauszuhalten. Am liebsten würden die Deutschen überhaupt keine Außenpolitik betreiben; sie sind eine Nation von Lehnstuhlstrategen, die die internationale Politik als eine Art nie endende Daily Soap betrachten, die den Fernsehabenden etwas exotische Würze verleiht. Dass es dabei um Fragen geht, die ihr eigenes Leben viel stärker beeinflussen als die Höhe von Harz4 oder andere Belanglosigkeiten, begreifen die Leute nicht.

    Eigentlich haben die Deutschen überhaupt keine Verbündeten verdient.
  • Sophia of Winton  
    Es ist zwar wahr, das die Deutschen was mit den Franzosen am Hut haben. Aber was ich mich wirklich frage ist: Werden die eigentlich von nur einem Land gemocht? Ich hab nichts gegen Deutschland, im Gegenteil, aber wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, bezweifle ich das sogar. Ich hab nichts mehr mit den damaligen Geschehnissen zutun, aber es beschäftigt mich doch sehr. Besonders die Frage, ob die Deutschen helfen würden, wenn wir Engländer zum Beispiel von den Franzosen oder den Polen angegriffen werden.
    Liebe Grüße aus Groß Britannien Sophia :-)
    • Thorsten Kleinschmidt  
      Hallo Sophia!

      "Werden die eigentlich von nur einem Land gemocht?"

      Mit der Sympathie zwischen Völkern ist es eine schwierige Sache. Auf der Ebene der einzelnen Personen ist das meist überhaupt kein Problem. Ich komme gerade aus dem Urlaub zurück: Im Sommer trifft sich ja halb Europa in den touristischen Zentren. Und hier kommen Österreicher und Franzosen, Briten und Italiener, Deutsche und Spanier, Russen und Niederländer völlig problemlos miteinander aus. Wenn nicht die Sprache wäre, wären wir im Urlaub kaum voneinander zu unterscheiden. Einer anti-deutschen Stimmung bin ich noch nie begegnet, auch diesmal nicht.

      Wenn es dagegen um Staaten geht, dann haben die meisten Menschen bestimmte Vorstellungen im Kopf, die stark von den Massenmedien geprägt sind. Die sind mal positiv, mal negativ. Deutschland als Staat hat im Zuge der Euro- und Schuldenkrise tatsächlich in Südeuropa viele Sympathien verloren, besonders in Griechenland. Andererseits ist gleichzeitig das Ansehen Deutschlands in etlichen Ländern Mittel- und Nordeuropas gewachsen, weil dort viele Menschen den Eindruck haben, dass Deutschland auch ihre Interessen im Streit um mehr Geld für den Süden Europas verteidigt.

      Beides hängt natürlich mit der deutschen Politik in der Eurokrise zusammen. Ob die richtig ist oder falsch, wird die Zukunft zeigen. Sicher ist aber, meine ich, dass Deutschland die derzeitige Führungsrolle in Europa nicht angestrebt hat; im Gegenteil: Die meisten deutschen Politiker wären heilfroh, wenn jemand anderes die Probleme Europas lösen würde.

      "ob die Deutschen helfen würden, wenn wir Engländer zum Beispiel von den Franzosen oder den Polen angegriffen werden."

      Nun, ich glaube, die Deutschen möchten vor allem verhindern, dass in Europa irgendwer irgendwen angreift. Das ist einer der Gründe, aus denen die Idee der europäischen Integration in Deutschland immer so populär war und es immer noch ist. Nach den Erfahrungen der beiden Weltkriege haben die Deutschen einen Horror vor Krieg. Aber wenn doch ein europäisches Land von einem anderen Land angegriffen werden sollte, würden die Deutschen helfen. Da bin ich ziemlich sicher.

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