Deutsche Flüchtlinge 1945

Deutsche Flüchtlinge 1945. Flüchtlingsströme und große Umbrüche sind in Mitteleuropa nichts Neues...


Dies ist die Völkerwanderung, auf die alle gewartet haben. Der Marsch der Armen und der  Bedrohten aus dem gefährlichen Süden in den gesegneten Norden hat begonnen. Die Tore der Festung Europa sind offen; niemand will den Limes mit Waffengewalt gegen Frauen und Kinder verteidigen, und die prägen das Bild, das die Europäer von den Flüchtlingen haben.

Es ist im Kern keine Einwanderung, also etwas, das sich regulieren ließe, sondern eher eine Völkerwanderung, die sich ihre Gesetze selbst schafft. Auch bei früheren Massenwanderungen werden die Wanderer nicht von vornherein den Willen zur Landnahme, zur dauerhaften Ansiedelung in einer Neuen Welt gehabt haben. Von Not getrieben, brach man auf, ohne zu wissen, was sich daraus ergeben würde. Im besten Falle eine Rückkehr unter besseren Bedingungen, im Notfalle eine völlige Neugründung des eigenen Lebens.

Das Wort Völkerwanderung ist jedoch eigentlich auch nicht richtig, denn es wandern keine Völker, sondern Familien und Einzelne. Das macht es für die Aufnahmegesellschaft leichter, da sie nur Individuen, nicht aber Institutionen integrieren müssen.

Die Herausforderung für uns ist trotzdem groß, und ungewöhnlich sind in der Tat die Zeitumstände. Es sind ja nicht nur die Flüchtlingsströme: Die Fundamente der Europäischen Union sind nach wie vor nicht gesichert, Osteuropa ist nicht befriedet. Weiterhin hängt das Damokles-Schwert von Wirtschaftskrise und Krieg über unseren Köpfen.

Ungewöhnlich ist das alles allerdings nur dann, wenn man unser Alltagsleben in unserer Alltagswelt und Alltagszeit als Maßstab zugrunde legt. Tritt man etwas zurück und betrachtet das ganze Bild der Historie, dann sieht man, dass solche außergewöhnlichen Situationen und Herausforderungen tatsächlich ganz gewöhnlich sind.  Schon immer waren Menschen von Krieg und Not bedroht, schon immer gab es große Umbrüche, schon immer stellten Menschen dann und wann erschrocken oder melancholisch fest, dass die Welt, in der sie aufgewachsen waren und die für die Ewigkeit gemacht schien, unterging. Fukuyamas Wort vom „Ende der Geschichte“ haben wir ja schon immer bezweifelt, aber erst jetzt begreifen wir tatsächlich, was das heißt, dass die Geschichte weiter- und über uns hinweggeht.


Der gemütliche Nationalstaat, ethnisch ziemlich homogen, in einem gemütlich ruhigen Europa, mit überschaubaren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen und der Illusion einer gesicherten Zukunft ist nicht der Endzustand der Geschichte.  Nach den Stürmen von Weltkriegen und Diktaturen waren wir auf kurze Zeit in ruhigem Fahrwasser unterwegs; nun liegt die raue See wieder vor uns, und ein kalter Wind bläst uns ins Gesicht.

In diesen Tagen beginnen wir zu begreifen, dass etwas Neues beginnt.  Was das ist und was es wird, kann noch niemand sagen.  Aber das Rad der Geschichte dreht sich wieder. Jammern, Schimpfen oder AfD-Wählen wird daran nichts ändern.

Stattdessen sollten wir uns klar machen: Es ist in der Ordnung der Dinge, dass das Alte vergeht, auch wenn es gut war.  Jede Generation muss ihre Zukunft neu schaffen. Nie wieder wird Deutschland so sein wie zu Zeiten eines Bismarck, Brandt oder Kohl. Macht nichts !

Auch die Zukunftsprognosen von gestern sehen heute ziemlich alt aus. Deutschland als großes Altenheim mit einer auf 60 Millionen geschrumpften Bevölkerung, kulturell erstarrt, wirtschaftlich gelähmt und politisch unbeweglich, ein Spielball aufstrebender Großmächte? Oder nicht vielleicht doch eine dynamische Einwanderergesellschaft von 100 Millionen als Motor eines dynamischen Europa? Oder noch ganz anders?

Wie auch immer: Wir leben in aufregenden Zeiten. Deutschland und Europa – beide müssen sich neu erfinden.  Wir müssen beide neu erfinden. Und das werden wir.




Foto Abraham Pisarek.
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[CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)],
via Wikimedia Commons




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